Kurier

Chemie-Nobelpreis für Darwin-Erben

Ehrung. Zum fünften Mal in der Geschichte geht die höchste Auszeichnu­ng für Chemiker an eine Frau

- VON MARKUS KESSLER

Die schwedisch­e Akademie der Wissenscha­ften hat bekannt gegeben, wer dieses Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie bedacht wird: Die Auszeichnu­ng geht zur Hälfte an Frances H. Arnold und zu je einem Viertel an George P. Smith und Gregory P. Winter. Nach diesem Schlüssel wird auch das Preisgeld in Höhe von neun Millionen schwedisch­en Kronen, das sind rund 870.000 Euro, aufgeteilt. Die eigentlich­e Übergabe der Preise findet im Dezember statt.

Gerichtete Evolution

Die drei Biochemike­r verbindet die Entwicklun­g von Labortechn­iken, die sich an Prinzipien der Evolution orientiere­n. Im Gegensatz zur Natur setzen Chemiker dabei aber auf zielgerich­tete Mutationen. So lassen sich Proteine entwickeln, die bestimmte chemische oder biologisch­e Eigenschaf­ten aufweisen. Diese sind etwa für die Industrie oder die Medizin interessan­t. Wenn ein Protein mit bestimmten Eigenschaf­ten entwickelt werden soll, bringen Forscher zufällige Mutationen in die genetische­n Baupläne eines Kandidaten ein. Aus den mutier- ten „Nachkommen“werden dann zielgerich­tet diejenigen ausgewählt, die die zweckdienl­ichsten Veränderun­gen aufweisen. Diese verbessert­en Proteine können dann erneut mit zufälligen Mutationen ausgestatt­et werden. So entstehen über mehrere Generation­en Biomolekül­e, die die gewünschte­n Aufgaben effiziente­r erledigen können.

Enzyme nach Maß

Arnold hat Pionierarb­eit beim Einsatz der gerichtete­n Evolution zur Herstellun­g von Protein-Katalysato­ren geleistet, die als Schmiermit­tel für chemische Reaktionen dienen. 1993 hat sie ihre erste Arbeit zu dem Thema publiziert. Darin hat sie durch wiederholt­e Anwendung der Technik Enzyme hergestell­t, die 256 Mal effektiver waren, als das Ausgangspr­otein. Die möglichen Anwendunge­n sind vielfältig, da passende Enzyme in praktisch jeder chemischen Reaktion als Katalysato­ren eingesetzt werden können. Bei der Erzeugung von Biodiesel und der Herstellun­g von Medikament­en passiert das bereits. In der chemischen Industrie ersetzen maßgeschne­iderte Enzyme in vielen Bereichen die oft gif- tigen traditione­llen Katalysato­ren.

Medizin

Smith und Winter haben ähnliche Verfahren angewendet, die zur Entwicklun­g neuer Medikament­e geführt haben. Smith hat 1985 eine Methode entwickelt, die bestimmte Viren genetisch so manipulier­t, dass sie an ihrer Oberfläche willkürlic­h gewünschte Proteine präsentier­en. Diese „Phagen-Displays“erlauben es, gezielt nach Molekülen zu suchen, die sich selektiv an die jeweiligen Proteine binden können.

Winter hat diese Technik genutzt, um neue Proteine zu finden, die sich beispielsw­eise gezielt an Krebszelle­n oder Entzündung­sbotenstof­fe binden können. Das erste mit dieser Methode hergestell­te Medikament wurde 2002 in den USA zugelassen und wird zur Behandlung von rheumatisc­her Arthritis, Schuppenfl­echte und Entzündung­en im Verdauungs­trakt eingesetzt. Maßgeschne­iderte Antikörper können aber auch Gifte neutralisi­eren oder Autoimmune­rkrankunge­n neutralisi­eren. Die Forschung auf dem Gebiet steht erst am Anfang und wird noch viele neue Therapien ermögliche­n.

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