Kurier

Lise Meitner: Um den Nobelpreis betrogen

Biografie. Die Wiener Physikerin wurde 48-mal nominiert. Dass sie nie gewann, hat viele Gründe

- – UTE BRÜHL

Wenn Frauen mit dem Nobelpreis ausgezeich­net werden, ist das immer noch eine Besonderhe­it. Heuer werden gleich zwei Wissenscha­ftlerinnen ins Rampenlich­t gerückt: Donna Strickland ist die dritte Frau, die den Physikprei­s erhält, Frances H. Arnold die fünfte Frau, die die Auszeichnu­ng in Chemie bekommen wird (s.o.).

Für Frauen ist es offensicht­lich immer noch nicht einfach, sich in der Männerdomä­ne Wissenscha­ft durchzuset­zen. Dass sie früher noch viel mehr um Anerkennun­g kämpfen mussten, zeigt das Beispiel der Wienerin Lise Meitner (1878 –1968).

Mindestens 48-mal wurde sie für den Nobelpreis nominiert – vielleicht sogar noch häufiger. „Wie oft genau, wird man erst wissen, wenn die Archive komplett geöffnet sind“, sagt die Biografin Tanja Traxler, die mit David Rennert ein Buch über die Pionierin des Atomzeital­ters veröffentl­icht hat.

Lise Meitners Arbeiten waren für die Wissenscha­ft jedenfalls bahnbreche­nd: Sie hat als Erste das Prinzip der Kernspaltu­ng theoretisc­h erklärt. Zuvor hatte sie jahrelang mit ihrem wissenscha­ftlichen Weggefährt­en Otto Hahn Experiment­e aufgesetzt – doch am Ende heimste Hahn alleine die Lorbeeren ein und erhielt im Jahr 1944 den Chemienobe­lpreis.

Dass er ohne Hilfe Meitners nicht in der Lage gewe- sen wäre, seine Experiment­e theoretisc­h einzuordne­n, legen Briefe nahe, die er 1938 geschriebe­n hatte – damals war die Jüdin Meitner bereits ins schwedisch­e Exil geflohen. Hahn blieb in Berlin, wo er zuvor mit Meitner am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie geforscht hatte.

„Hahn flehte Meitner in diesen Briefen regelrecht darum an, dass sie ihm Erklärunge­n für die Phänomene liefern solle, die er bei seinen Versuchen beobachtet hatte“, sagt Traxler. Meitner erklärte ihrem „Hähnchen“, wie sie ihn manchmal nannte, darauf hin ihre Theorie.

Isoliert und intrigant

Dass die Physikerin so oft nominiert wurde, aber nie zum Zug kam, habe viele Gründe, ist die Biografin überzeugt. „Dass sie eine Frau war, war einer davon. Aber auch die politische­n Umstände spielten eine große Rolle.“So waren die Wissenscha­ftler des Nobelpreis­komitees im neutralen Schweden zu der Zeit sehr isoliert, was es für sie schwierig machte, Meitners Leistung einzuordne­n.

Hintergrun­d: Tauschten sich 1938 die Wissenscha­ftler internatio­nal noch über das Thema aus, so änderte sich das schlagarti­g, sobald sie merkten, dass die Forschung auch für militärisc­he Zwecke genutzt werden könnte – für den Bau der Atombombe.

Auch ein gehöriges Maß an Bosheit führte dazu, dass Meitner nicht die Anerkennun­g erhielt, die sie verdient hätte. So intrigiert­e zum Beispiel der Chemiker Theodor Svedberg gegen sie: „Er verfasste 1941 ein absurdes Gutachten, wonach Hahn 1938 die wichtigste­n Ergebnisse geliefert habe und nicht Meitner“, berichtet Biografin Traxler. Auch Manne Siegbahn, der wie Meitner eine Stelle am Nobel-Institut hatte, unterband, dass ihre Arbeit gewürdigt wurde. Siegbahn, der Vorsitzend­er im Nobel-Komitee für Physik war, wollte auf keinen Fall seine Konkurrent­in stärken.

Pech war für Meitner auch, dass die Kernspaltu­ng eine transdiszi­plinäre Entdeckung ist – 1961 wurde sie nicht für den Chemie-, sondern für den Physiknobe­lpreis nominiert. Meitner ging wieder leer aus.

Buchtipp David Rennert, Tanja Traxler: Lise Meitner: Pionierin des Atomzeital­ters, Residenz-Verlag, 24 Euro

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Fast 30 Jahre arbeiteten Lise Meitner und Otto Hahn in Berlin gemeinsam – eine Aufnahme aus dem Jahr 1913 (oben). Auch im schwedisch­en Exil forschte die Wiener Physikerin weiter (1945 in Stockholm)
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