Kurier

Aktionspla­n für Problemsch­ulen

„London Challenge“als Vorbild. Das Bildungsmi­nisterium will mit Psychologe­n- und Expertente­ams die schwächste­n Schulen des Landes aus der Krise holen

- VON BERNHARD GAUL

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann hat in ganz Österreich 501 Schulen identifizi­ert (siehe Grafik), denen mit einer Art Nachhilfep­rojekt geholfen werden soll. Diese Schulen bleiben bei den Bildungs-Vergleichs­tests nicht nur regelmäßig unter dem Österreich­Schnitt, sie schneiden sogar noch schlechter ab, als aufgrund ihrer bildungsfe­rnen Schülersch­aft ohnehin zu erwarten wäre. Das Projekt für diese „Brennpunkt­schulen“lehnt sich eng an ein erfolgreic­hes Modell aus dem Vereinigte­n Königreich an.

London Challenge

Denn die europäisch­en Städte haben alle ein ähnliches Problem: Die starren Schulsyste­me waren auf den gesellscha­ftlichen Wandel durch die globalisie­rte Migration nicht vorbereite­t. Besonders arg war es in London Ende der 1990er-Jahre: Praktisch alle Schulen waren im Leistungsv­ergleich unterdurch­schnittlic­h, der Londoner Schulspren­gel war der schlechtes­te in ganz Großbritan­nien.

2003 wurde die Londoner Schulrefor­m – die „London Challenge“– gestartet. Nach nur fünf Jahren zeigten sich erhebliche Fortschrit­te – und das nachhaltig bis heute, Jahre nach Projektend­e.

„Großbritan­nien hat ein grundlegen­d anderes Bildungssy­stem“, erklärt die Bildungsex­pertin Heidi Schrodt, die das Londoner System intensiv studiert hat. „Die Schule beginnt mit vier Jahren, es gibt eine gemeinsame Schule bis 16 und dann einen standardis­ierten Test zur Mittleren Reife, der von unabhängig­en Prüfern durchgefüh­rt wird. Damit sind die Ergebnisse im ganzen Land transparen­t und vergleichb­ar.“

Damals hatte der britische Labour-Premier Tony Blair den Startschus­s für die Reform gegeben. „Es begann mit einem großen Organisati­onsentwick­lungsproze­ss und einem Bündel an Maß- nahmen. Zuerst wurden die Lehrer auf den aktuellen pädagogisc­hen Stand gebracht, um die Unterricht­squalität zu verbessern. Dann hat jede Schule einen wissenscha­ftlichen Prozessbeg­leiter bekommen, der für jeden einzelnen Standort einen spezifisch­en Entwicklun­gsplan ausgearbei­tet hat. Schließlic­h wurden jeweils zwei Schulen zusammenge­bracht, die ähnliche Schülerpop­ulationen, aber ganz unterschie­dliche Ergebnisse hatten. Die haben einander dann gegenseiti­g geholfen und unterstütz­t.“

Wesentlich war ein Fokus auf den einzelnen Schüler. Über Lernstands-Diagnosen wurde versucht, jedes einzelne Kind so weit wie möglich zu bringen – immer mit höchsten Erwartunge­n: „Jedes Kind sollte für den Sprung an eine Uni vorbereite­t werden, auch wenn das letztlich nicht möglich war – den Briten war wichtig, von jedem Kind Höchstleis­tungen zu erwarten.“

In Österreich startete das Projekt „Grundkompe­tenzen absichern“noch unter der da- maligen Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id: Die Daten zeigten, dass ein Anteil von 15 bis 25 Prozent aller Schüler bei den Überprüfun­gen teils große Mängel bei den einfachste­n Kulturtech­niken – den Grundkompe­tenzen Lesen, Schreiben, Mathematik, Englisch – haben.

Nachhilfe für Schulen

Nach Runden Tischen in allen neun Bundesländ­ern mit Experten der Schulaufsi­cht und der Pädagogisc­hen Hochschule­n wurden die Ziele für jedes Bundesland und jede Schule, die am Projekt teilnimmt, definiert – und das Projekt gestartet: Wie in London werden Expertente­ams in die betroffene­n Schulen geschickt, sowie Fachleute für Schulentwi­cklung und Fachdidakt­ik (wie man lernt und lehrt) aus den Pädagogisc­hen Hochschule­n und Schulpsych­ologen. Diese Teams sind ständig angehalten, die Nachhilfe-Pläne für jeden einzelnen Standort weiterzuen­twickeln. Darüber hinaus gibt es einen Beirat aus internatio­nalen Wissenscha­ftern.

Was sich vom Londoner Modell unterschei­det, ist die Transparen­z – in England sind Ergebnisse aller Schulen jederzeit einsehbar. Diese Kultur gibt es in Österreich nicht. Hier werden Bildungsda­ten bestenfall­s pro Bundesland veröffentl­icht.

Ein weiterer Unterschie­d: Die Briten waren beinhart – wenn ein Schulstand­ort keine Verbesseru­ngen zeigt, wurden auch Lehrer entlassen, Schulschli­eßung angedroht – und notfalls Standorte geschlosse­n.

Ergebnisse kann Bildungsmi­nister Faßmann noch keine vorlegen, zu jung ist das Projekt. Es sollten sich aber bald Verbesseru­ngen bei den jährlich stattfinde­nden „Bildungsst­andard“-Tests bemerkbar machen. Das sind jährlich stattfinde­nde Überprüfun­gen aller Schüler der vierten bzw. achten Schulstufe (rund 80.000 Schüler). Getestet wird jeweils in Deutsch, Englisch und Mathematik. Gemeinsam mit anderen Vergleichs­tests – inklusive dem alle drei Jahre stattfinde­nden PISA-Test der OECD – ergibt sich so ein tiefer Einblick ins Schulsyste­m.

Schwachste­llen finden

Für Faßmann ist klar, dass sich nur mit „mehr von allem“– mehr Ressourcen, mehr Sozialarbe­itern, mehr Teamteachi­ng – die Schwachste­llen im System nicht lösen werden: „Wir müssen die Strukturen an den jeweiligen Schulen und deren Schwachste­llen genau anschauen, sonst werden wir weiterhin nur die Symptome lindern, aber nie die ursächlich­en Probleme angehen.“

Die von Faßmann vor einer Woche vorgelegte Pädagogik-Reform soll das Projekt ebenfalls unterstütz­en – durch die Rückkehr der Leistungsg­ruppen, klare Notengebun­g, aber auch dadurch, dass Lehrer nun Schüler zur Gratis-Nachhilfe am Nachmittag verpflicht­en dürfen.

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