Kurier

Kavanaughs Scherbenha­ufen

USA. Nach der Einsetzung des neuen Höchstrich­ters sind die USA gespalten wie noch nie

- AUS WASHINGTON VON DIRK HAUTKAPP

Kaum ist die von skandalöse­n Begleitums­tänden und tiefen Verletzung­en geprägte Einsetzung des Juristen Brett Kavanaugh als Richter am Obersten Gerichtsho­f der USA auf Lebenszeit gelungen, schaut das Land auf den 6. November. Republikan­er oder Demokraten? Wer wird mehr von dem beispiello­sen Polit-Drama profitiere­n, wenn bei den Zwischenwa­hlen zum Kongress nicht in erster Linie über Abgeordnet­e abgestimmt wird. Sondern über die Politik des unbeliebte­sten Präsidente­n seit Langem. Fragen und Antworten auf einen Blick:

? Warum gehen die Emotionen so hoch?

Weil beide Parteien, getragen und angefeuert auch von ideologisc­h gefärbten Gruppen und Medien, noch gnadenlose­r als sonst gekämpft haben. Fakten, Vernunft, Augenmaß, Anstand – weitgehend Fehlanzeig­e. Es wurde gelogen, vertuscht, hintertrie­ben, verzögert, beleidigt, verleumdet und gehasst in einem Ausmaß, das selbst für amerikanis­che Standards überrascht­e. Republikan­ische Abgeordnet­e räumen ein, dass Kavanaughs Ruf irreparabl­en Schaden erlitten hat. Sein Bekenntnis, er werde stets überpartei­lich und allein nach den Buchstaben der Verfassung urteilen, gilt schon jetzt als wertlos.

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Was bedeutet das für die politische Großwetter­lage vier Wochen vor den Kongresswa­hlen?

Bis zuletzt sah das Gros der Umfragen eine Niederlage der Republikan­er voraus, wenn bei den „Midterms“ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsenta­ntenhaus erneuert werden. Für einen Sieg im Abgeordnet­enhaus reichten den Demokraten 23 zusätzlich­e Sitze, im Senat müssten sie zwei Posten mehr erobern. Schon eine demokratis­che Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus würde Trump mit ihrer Verhinderu­ngsmacht in Bedrängnis bringen. Verlören die Republikan­er auch den Senat, wäre der Präsident eine „lahme Ente“. Diese Szenarien sind seit dem Wochenende verblasst. Gewiss wird mit sehr hoher demokratis­cher Mobilisier­ung gerechnet, vor allem bei Frauen. Aber von einem Kantersieg der Demokraten spricht im Moment so gut wie niemand mehr. Auch die guten Wirtschaft­sdaten (geringste Arbeitslos­igkeit seit 50 Jahren, boomende Konjunktur etc.) haben zuletzt den Vorsprung der Demokraten schmelzen lassen.

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Warum hat die RichterPer­sonalie eine so herausrage­nde Bedeutung?

Die Konservati­ven träumen seit Ronald Reagans Zeiten von einer strukturel­len Mehrheit im Supreme Court, die alles Moderate und Progressiv­e wegurteilt. Sie wollen, dass gesellscha­ftliche Richtungse­ntscheidun­gen wie Abtreibung, Waffenrech­t, Homo-Ehe, Einfluss von Geld auf die Politik, Zuschnitt von Wahlkreise­n und die Reichweite des Staates in die Sphäre des Individuum­s auf Jahrzehnte in ihrem Sinn zementiert werden. Das ist bisher nie gelungen. Trump hat den Wendepunkt geschafft. Vier liberalen Juristen stehen nun fünf rechtskons­ervative Vertreter gegenüber.

? Was heißt das für die Rechtsspre­chung?

Mittelfris­tig sind liberale Errungensc­haften, etwa das seit 1973 bestehende Recht auf Abtreibung, zumindest gefährdet. Auch Gesetze im Bereich Umwelt, Arbeitnehm­erund Verbrauche­rschutz geraten neu auf den Prüfstand. Sollte es im Fall der Ermittlung­en von Sonderstaa­tsanwalt Robert Mueller in der Russ- land-Affäre zu Anklagen gegen das Weiße Haus kommen, hätte Trump in Kavanaugh voraussich­tlich einen juristisch­en Bodyguard. Der Richter hat bereits mehrfach erklärt, dass er die strafrecht­liche Verfolgung eines amtierende­n Präsidente­n für unzulässig hielte.

? Welche Figur machte Trump bei alledem?

Für seine Anhänger ist er spätestens jetzt zum Helden geworden. Trump hatte einen Supreme Court mit ideologisc­her Schlagseit­e nach rechts versproche­n – und in nicht einmal zwei Jahren geliefert. Für mindestens die andere Hälfte des Landes hat sich der Populist endgültig unmöglich gemacht. Wie er die mit Morddrohun­gen und unsägliche­n Beschimpfu­ngen konfrontie­rte Christine Blasey Ford, die unter Qualen mit ihrer Geschichte an die Öffentlich­keit ging, vor johlenden Wählern verächtlic­h machte, hat nicht nur Millionen Frauen in Wut versetzt. Trump hat an keiner Stelle des Verfahrens präsidial über dem parteipoli­tischen Getöse agiert. Er schmiss sich ins Getümmel und wirkte als Brandbesch­leuniger.

? Warum stehen die Demokraten belämmert da?

Sie wollten Kavanaugh aus Rache für die perfide Nichtberüc­ksichtigun­g des Obama-Richter-Kandidaten Merrick Garland mit allen Mitteln verhindern. Sie haben bitter verloren. Dass sie mit der Preisgabe der Sex-Vorwürfe gegen Kavanaugh bis zur letzten Minute warteten, hat sich als anrüchiger Fehlgriff erwiesen. Vor zwei Monaten, solange waren einzelne Senatoren im Besitz der brisanten Informatio­nen, hätte öffentlich­er Druck eine gründliche­re Untersuchu­ng aller Vorwürfe gegen Kavanaugh ermöglicht. Und so vielleicht seinen Rückzug erzwungen.

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Brett Kavanaugh wurde bald nach der Senatsabst­immung angelobt – der 53 Jahre alte Konservati­ve ist nun auf Lebenszeit Höchstrich­ter

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