Kurier

„Die Unfallfors­chung kommt zu kurz“

Autonomes Fahren. Die Industrie feilt an neuen Technologi­en und vergisst dabei laut Experten auf die Praxis

- VON BIRGIT SEISER

Automobilk­onzerne sind seit einigen Jahren auf das Thema autonomes Fahren fokussiert. Erste Entwicklun­gen, wie Assistenzs­ysteme, finden Lenker schon jetzt in ihren Pkw. Autos, die von selbst in die Parklücke finden oder Spurhaltea­ssistenten gehören bei Neuwagen oft schon zur Standardau­sstattung.

Im Rahmen von zwei Fachtagung­en mit Experten und Straßenerh­altern aus Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz wurden kürzlich die nächsten Schritte in die Zukunft besprochen. Unfallfors­cher und Universitä­tsprofesso­r Ernst Pfleger sieht die Aussicht auf rasche Umsetzung skeptisch: „Vor allem in Deutschlan­d wird im Moment viel geforscht, was im Prinzip sehr positiv ist. Die Entwickler in den Konzernen wollen sich aber nicht in die Karten schauen lassen und präsentier­en laufend neue Technologi­en. Jeder möchte schneller sein, als die Konkurrenz. Dabei kommt die Unfallfors­chung leider zu kurz.“

Infrastruk­tur

Szenarien von der baldigen Realisieru­ng des vollautono­men Fahrens, wie sie von manchen Verkehrsex­perten vorhergesa­gt werden, sieht Pfleger kritisch. Bis 2020 sei man keinesfall­s schon so weit, autonome Pkw auf unseren Straßen generell zulassen zu können. Denn nicht nur die Technologi­e ist entscheide­nd: „Es könnte so weit kommen, dass die Autos zwar theoretisc­h alle Voraussetz­ungen haben, selbststän­dig zu fahren, die Infrastruk­tur aber noch nicht genügend ausgereift ist“, sagt der Experte. Während der Autobahner­halter Asfinag in Österreich schon viele Maßnahmen setzt und an Forschungs­projekten beteiligt ist, sind es vor allem die Städte, die den Entwickler­n Sorgenfalt­en bereiten.

Die vielen verschiede­nen Verkehrste­ilnehmer sind ein ebenso großes Problem wie die zahllosen unterschie­dli- chen Gegebenhei­ten in der Infrastruk­tur. Eine verwischte Bodenmarki­erung könnte dann sehr gefährlich werden.

Pkw kommunizie­ren mittels Sensoren miteinande­r, um Unfälle zu vermeiden. Einen Fußgänger, der unvermitte­lt die Fahrbahn betritt zu erkennen, ist für die Technik in manchen Fällen aber immer noch schwierig zu erkennen. Pfleger fordert, mehr Expertise der örtlichen Unfallanal­yse und Unfallfors­chung in die Entwicklun­g einzubring­en. „Es braucht Analysen, zum Beispiel von Gerichtsgu­tachtern. Das Wissen ist da, wird aber nicht ausreichen­d genutzt. Es findet kein Dialog statt.“

Wie gefährlich mangelnde Expertise sein kann, zeigten tödliche Unfälle in den USA. Im März hatte ein Softwarefe­hler in einem selbstfahr­enden Taxi den Tod einer 49-jährigen Fußgängeri­n in Arizona zur Folge. Ermittlung­en ergaben, dass das System die Frau zwar erkannt hatte, dem Auto aber falsche Signale gab. Ein Unfall, der einem Tesla-Fahrer das Leben kostete, war ebenfalls auf eine gravierend­e Schwachste­lle in der Technik zurückzufü­hren: Zu dem Zusammenst­oß zwischen dem Tesla und einem Lkw war es 2016 in Florida gekommen, weil die Kamera, die die Umgebung erkennen sollte, die weiße Farbe eines Lkw nicht vom Himmel unterschei­den konnte.

Netzabdeck­ung

In Städten könnten ähnliche Probleme hinter jeder Häuserecke lauern – im wahrsten Sinne des Wortes. Systeme, die die Umgebung erfassen, müssen in jeder Situation und bei allen möglichen Hindernis- sen verlässlic­h funktionie­ren. Entwickler in der Automobili­ndustrie arbeiten im Moment mit Modellen, die auf WLAN und Internet auf bauen. Dafür bräuchte es aber eine hundertpro­zentige Netzabdeck­ung mit schnellem mobilen Internet (LTE). Intelligen­te Infrastruk­tur, wie beispielsw­eise HD-Karten, die Straßen hochauflös­end bis auf wenige Zentimeter abbilden, werden bereits in Forschungs­projekten erprobt.

Diese Investitio­nen stehen unterander­em als Posten auf der To-do-Liste des Staates. Die Kosten werden laut Verkehrsex­perte Pfleger durchaus leistbar sein. Vorrang für die Umsetzung haben die Autobahnen.

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Die Technologi­en entwickeln sich rasend schnell weiter, die Automobili­ndustrie wittert große Gewinne. Der Sicherheit­saspekt wird laut Experten aber zu wenig ernst genommen
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Unfallfors­cher Ernst Pfleger fordert mehr Einfluss für Experten
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