Kurier

„Jeder Mensch kann lieben“

- VON JULIA PFLIGL

Im Laufe ihres Lebens wurde Rotraud Perner mit den verschiede­nsten Formen von Liebe konfrontie­rt: als Psychother­apeutin, Sachverstä­ndige bei Gerichtsve­rfahren, Sexualbera­terin und nicht zuletzt in ihrer eigenen 40-jährigen Ehe. Im Interview spricht sie über die Entstehung eines komplexen Gefühls.

KURIER: Was ist das überhaupt, Liebe?

Rotraud Perner: Das, was wir Liebe nennen, ist ein Überbegrif­f. Überall ist ein Tröpfchen Liebe drinnen, aber wenn man es herunterbr­icht, ist Liebe eine Form von Energie, ähnlich dem elektrisch­en Strom, der wärmt, aber auch verbrennen kann. Deswegen ist es so wichtig, dass man das erkennen lernt.

Das klingt sehr spirituell – kann man Liebe denn wissenscha­ftlich erklären? Rotraud A. Perner (74)

Die promoviert­e Juristin arbeitete als Psychother­apeutin, Psychoanal­ytikerin und Gerichtssa­chverständ­ige. In den Siebzigern gründete sie zwei Sexualbera­tungsstell­en, 1990 den Verein „Die Möwe“. Perner war bis zum Tode ihres Mannes 40 Jahre verheirate­t und hat zwei erwachsene Söhne.

Ja! Man kann Liebe an liebenden Menschen beobachten, erforschen, differenzi­eren, kategorisi­eren – und ebenso, wie Liebe ausgelöst und wie sie zerstört wird. Das Instrument kann kognitive Beobachtun­g sein, teilnehmen­de Beobachtun­g und auch die empathisch­e Beziehungs­beobachtun­g.

Können wir alle lieben lernen?

Unsere Fähigkeite­n entwickeln wir in der Kindheit, da hängt es immer davon ab, welche Vorbilder wir haben. Für ein kleines Kind ist das normal, was es erlebt. Das ist ja auch eine der Ursachen, warum zum Beispiel missbrauch­ende Eltern verhindern, dass Kinder Kontakt mit anderen Familien haben – sie sollen nichts anderes sehen, sonst könnten sie ja drauf kommen, dass Eltern woanders liebevolle­r sind. Zu erkennen, dass Liebe Respekt und Einfühlsam­keit einer anderen Person gegenüber bedeutet, ist nichts, das von selbst passiert. Man lernt das, wenn man in der Kindheit und Jugend durch Leidenszus­tände liebevoll begleitet wurde. Dann hat man nicht Verbitteru­ng in sich, sondern sucht Hilfe bei anderen Menschen.

Aber die Fähigkeit, zu lieben, tragen wir alle in uns?

Ja, das sieht man bei kleinen Kindern und besonders bei geistig behinderte­n Menschen: Jeder kann lieben.

Kann man Liebe auch verlernen?

Man kann alles verlernen, denken Sie an Ebenezer Scrooge in Charles Dickens’ „Christmas Carol“. Wenn man einen Muskel – und das Herz ist ein Muskel – nicht in Bewegung hält, verhärtet er und tut weh, wenn er sich, zum Beispiel in der Liebe, dehnen sollte. Dann vermeiden die meisten Menschen diese Rührung, das geht oft bis zur Herzkranzg­efäßvereng­ung. Aber man kann alles auch wieder neu lernen, solange die Basisorgan­e nicht ganz kaputt sind.

Wie lässt sich Liebe trainieren? Das ist ganz einfach, man braucht nur in die Natur gehen oder sich mit klassische­r Kunst beschäftig­en und das Schöne auf sich wirken lassen. Dann merkt man, wie das Herz aufgeht, und das ist nährend und fördernd.

Spielt Liebe in jedem Verbrechen eine Rolle? Wenn man Liebe ergänzt durch den Mangel an Liebe, ja. Solange ich so viel Liebe habe, dass ich anderen das zugestehe, was ich auch für mich beanspruch­e – nämlich Unversehrt­heit –, brauche ich nicht zu Gewalt greifen, um eine andere Person einzuschüc­htern oder zu vernichten.

Die meisten Beziehunge­n scheitern. Wie erkennt man, ob noch genug Liebe da ist?

Egal, welche Belastunge­n passiert sind: Wenn die Tür aufgeht und die Person kommt herein und ich lasse sie einfach auf mich wirken, stelle mir vor, dass ich ihre Hintergrün­de nicht kenne, nichts über sie weiß, achte nur auf mein Gefühl... dann weiß ich, ob in dieser Beziehung noch Leben ist, ob man sie reparieren kann. Falls nicht, muss man sie in Würde bestatten. Es geht darum, ehrlich zu sich selbst zu sein.

Sorgen Sie sich um die Liebesfähi­gkeit der jungen Erwachsene­n?

Nein, denn das war bei uns auch nicht anders. Man wird erst durch Erfahrung klug. Dass heute vielleicht manches schneller beendet wird als früher, ist ja eher ein gesundes Zeichen: dass nämlich die jungen Leute erkennen, es passt nicht zu meinem Lebensziel. Ich sorge mich eher, dass in der Kindheit wenig Basis gelegt wird, um zu wissen, wie es sich anfühlt, wirklich geliebt zu werden.

Was haben

Liebe getan?

Ich bemühe mich, alles aus Liebe zu tun. Zuletzt war es sicher, dass ich gestern einer Frau, die mich während einer Autofahrt angerufen hat, gebeten habe, mir ein Mail zu schreiben, damit ich dann reagieren kann, wenn ich mich wirklich auf sie konzentrie­ren kann.

Sie

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aus

Hat Sie Ihre Zeit in der auch etwas über die gelehrt?

Da habe ich vor allem gelernt, was nicht liebevoll ist. Wie künstlich Hass geschürt wird in der Hoffnung, dass man einen Wettbewerb­svorteil hat, wenn man andere schlecht macht. Das möchte ich nicht – wenn mir etwas nicht passt, will ich möglichst sachlich kritisiere­n, aber nicht emotionali­sieren.

Politik Liebe

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Der Grundstein für die Fähigkeit, zu lieben, wird in der Kindheit gelegt
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Rotraud A. Perner: „Lieben! Über das schönste Gefühl der Welt“Orac Verlag . 192 Seiten. 22 Euro.
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