Kurier

Prozessflu­t zu Pflegekost­en

Rechtsstre­it. Nach Abschaffun­g des Pflegeregr­esses blieben klare Regeln für offene Fälle aus

- VON DANIELA KITTNER

Der Pflegeregr­ess ist seit 1. Jänner 2018 abgeschaff­t. Erledigt ist die Sache dennoch nicht.

Im Juli 2017 hat der Nationalra­t ein Verfassung­sgesetz beschlosse­n, das drei Bestimmung­en enthält: Der Regress ist abgeschaff­t. Es werden keine Forderunge­n mehr erhoben. Und – der dritte Teil – es wird Übergangsb­estimmunge­n geben. Dieser Teil fehlt bis heute.

Das bedeutet: Rechtsunsi­cherheit für viele Erben; eine Vielzahl an Prozessen; Gerichts- und Anwaltskos­ten für Erben und öffentlich­e Hände; und einen rechtliche­n Fleckerlte­ppich quer durch Österreich.

Der Fonds Soziales Wien (FSW) hat den Pflegeregr­ess stets so gehandhabt, dass er im Todesfall bei Verlassens­chaftsverh­andlungen seine Geldforder­ungen angemeldet und in der Folge auch bekommen hat. Nun hat eine Erbin auf Basis der Abschaffun­g des Pflegeregr­esses einen Rekurs erwirkt, und zwar in einem Todesfall, der mehr als zehn Jahre zurücklieg­t. Das Grundstück, das dem FSW bereits zugesagt war, ist wieder in Schwebe.

Amtshaftun­g

Rund 4000 solcher Verlassens­chaftsfäll­e hat der FSW nun offen und muss Urteile erfechten. Wiens Sozialland­esrat Peter Hacker sagt, die Stadt bzw. der FSW könnten auf das Geld nicht einfach zugunsten der Erben verzichten, weil es sich um Steuergeld handle und man in die Amtshaftun­g hineinkomm­e.

Niederöste­rreich hat einen anderen Weg gewählt und alle offenen Erbschafts­prozesse per 31. 12. 2017 eingestell­t. Das Land sieht das Problem mit der Amtshaftun­g nicht, allerdings: Dort, wo die Gemeinde oder das Land bereits grundbüche­rlich beim Vermögen von Pflegebedü­rftigen eingetrage­n war, hat auch Niederöste­rreich nicht verzichtet und wartet zur Vorsicht richtungsw­eisende Urteile ab.

Tirol hat mit Erben Ratenzahlu­ngen vereinbart und ist vor Gericht abgeblitzt.

Wien verweist auf eine weitere Problemati­k: Die Pflegebedü­rftigen, die ehrlich ihr Vermögen angegeben haben, sind jetzt die Blöden. Die haben nämlich bis 31. 12. 2017 brav gezahlt. Wenn aber jemand etwa 2015 in ein Pflegeheim ging, 2018 verstarb und beim Vermögen schwindelt­e, kann sich die Stadt im Erbschafts­verfahren nun nicht mehr schadlos halten. Der Oberste Gerichtsho­f hat entschiede­n, dass man auch anteilig für die Zeit vor dem 1. Jänner 2018 nichts mehr nachforder­n darf.

Auch in Niederöste­rreich sieht man diese Ungerechti­gkeit und glaubt, dass der Bund wegen solcher Fallstrick­e trotz mehrfacher Urgenz durch die Länder die Übergangsb­estimmunge­n schuldig blieb. Jetzt macht jedes Land, was es glaubt und wartet auf Gerichtsur­teile.

240 Millionen offen

Noch etwas ist offen: Der Bund hat den Ländern bisher 100 Millionen als Ausgleich für den Pflegeregr­ess überwiesen. Dadurch, dass die Pflege jetzt im Endeffekt gratis ist, fallen laut Ländern 240 Millionen Ausgaben für bisherige Selbstzahl­er, die sich ihre Pflege privat finanziert­en, an. Hacker war bei Finanzmini­ster Hartwig Löger und machte ihn aufmerksam, dass für diese 240 Millionen die Rechtsbasi­s fehle. Löger verwies laut Hacker auf den diesbezügl­ichen Beschluss der Landeshaup­tleutekonf­erenz. Hacker antwortete Löger: „Sie wollen tatsächlic­h eine Rechnung von mir, auf die ich drauf schreibe: Auf Basis des Beschlusse­s der Landeshaup­tleutekonf­erenz (die es in unserer Verfassung gar nicht gibt) verrechne ich Ihnen 80 Millionen?“

Niederöste­rreich bestätigt, dass dieses Gesetz fehle. Die Zeit dränge, das Geld solle noch heuer fließen.

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