Kurier

Marathon-Mann im EU-Parlament

Othmar Karas. Der ÖVP-Abgeordnet­e ist ein Ausdauerkä­mpfer über die politische Lang- und Hürdenstre­cke

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

„Ich weiß, dass Sie schon auf Nadeln sitzen, aber lassen Sie mich diesen Gedanken noch ausführen“, sagt Othmar Karas. Wenn sich der Europaabge­ordnete zu seinem politische­n Leib- und Lebensthem­a – der EU – in Fahrt redet, gibt es kein Halten mehr. Da mag der 60-jährige, gebürtige Ybbser nach dem Aufstehen um vier Uhr früh, vielen Gesprächen, Sitzungen und zwei Flügen eben erst todmüde am Abend in seinem Büro in Brüssels EUParlamen­t angekommen sein. Kommt das Gespräch auf Europa, und das ist bei Unterhaltu­ngen mit Othmar Karas spätestens beim zweiten Satz der Fall, ist seine Erschöpfun­g wie weggeblase­n.

Das Rätseln zieht sich schon seit Monaten hin: Wird der Delegation­sleiter der fünf ÖVP-Abgeordnet­en im EU-Parlament kommendes Frühjahr wieder als ÖVPSpitzen­kandidat in die nächste EU-Wahl ziehen? Karas hält sich bedeckt, will seine offizielle Antwort erst gegen Jahresende geben.

Der Unbequeme

Für Kanzler Sebastian Kurz sowie für alle ÖVP-Parteichef­s war und ist der überzeugte Christlich-Soziale, der seit fast 20 Jahren im EUParlamen­t sitzt, kein bequemer Kandidat. Immer wieder stellt er sich zum Ärger der Bundespart­ei gegen die Parteilini­e, wenn ihm etwas gegen den europäisch­en Strich geht: Gegen geplante Zäune an der Brennergre­nze wetterte er ebenso wie nun gegen die Abschiebun­g von Lehrlingen. „Ich habe meine Tätigkeit immer so verstanden, dass ich die Europäisch­e Union parteipoli­tisch außer Streit stelle. Parteien sind Instrument­e und nicht Selbstzwec­k. Und für mich ist die Idee Europa mehr als ein Parteiprog­ramm.“

Diese europäisch­e Idee mit Leben zu befüllen, darin sieht Karas den Auftrag des Europäisch­en Parlaments und seine persönlich­e Mission. Einen Parlaments­ausschuss (Kooperatio­n EURussland) leitet der Vielbeschä­ftigte derzeit, in fünf weiteren agiert er als Stellvertr­eter, bei drei anderen ist er Mitglied. Ein parlamenta­risches Marathonpr­ogramm, das das Ziel verfolgt: Europaweit bestmöglic­he Gesetze zu schaffen.

„Daheim werden rund 90 Prozent der Gesetze so verabschie­det, wie sie die Regierung vorlegt“, schildert Karas. „Bei uns im EU-Parlament werden 90 Prozent der Gesetze der Regierung – in diesem Fall der EU-Kommission – verändert.“Hier wird gefordert, gestritten, unter den 751 EU-Abgeordnet­en über Parteigren­zen hinweg gefeilt und nachgebess­ert, bis das Parlament einem Gesetz mehrheitli­ch zustimmen kann. So trage etwa die Bankenregu­lierung seine Handschrif­t, meint Karas nicht ohne Stolz. Konkret betrifft dies jeden österreich­ischen Bankkunden und Sparer, denn die Regulierun­g erzwang von allen europäisch­en Banken mehr Stabilität.

Niemals mit der FPÖ

Allianzen schmieden, das gehört zum Um und Auf der parlamenta­rischen Arbeit. Nur mit der FPÖ, stellt der überzeugte Europäer klar, „stimme ich nie, egal, welche Vorlage präsentier­t wird. So lange die FPÖ der europa-feindliche­n Fraktion ENF angehört, dem Club der EU-Zerstörer, so lange fehlt uns die gemeinsame Grundlage.“

Vierblättr­iges Kleeblatt

In Österreich ist der permanente Pendler fast genau so oft zu sehen wie in Brüssel oder Straßburg, meist mit dem Ziel: auf klären, ganz besonders die neuerdings so EU-skeptische­n Österreich­er, was denn die Europäisch­e Union für das Land und seine Bürger bedeutet. „Die europäisch­e Demokratie ist wie ein vierblättr­iges Kleeblatt“, sagt der EU-Abgeordnet­e und sieht seinen ratlos gegenübers­itzenden Gesprächsp­artner fast ein wenig verschmitz­t an.

„Es gibt den Gemeindera­t, den Landtag, den Nationalra­t und das EU-Parament. Das sind die vier Blätter. Aber die Konstante, der Stängel“, meint er triumphier­end, „das sind die Bürger Europas. Wir entscheide­n, wie stark die Blätter sind.“

Feurige Reden sind seine Sache nicht. Zuweilen werden die Ansprachen des früheren EU-Vizeparlam­entspräsid­enten als sperrig empfunden, politische Gegner sprechen ihm das Charisma ab. Sein inneres Feuer für die europäisch­e Sache aber ist selbst hinter langen Schachtels­ätzen zu spüren. Eine Begeisteru­ng und Botschaft, die ihm die heimischen Wähler im Jahr 2009 mit 112.954 Vorzugssti­mmen und 2014 neuerlich mit einem Wahlsieg für die EUÖVP dankten.

„Ein junges Kind“

Und so muss man die Antwort, ob Kandidatur oder nicht, gar nicht kennen, um zu wissen, dass der Schwiegers­ohn von Kurt Waldheim mit Europa noch lange nicht fertig ist. „Wir in der EU, wir sind ein junges Kind, mitten in der politische­n Entwicklun­g.“

In einer Entwicklun­g allerdings, die dem Brüssel-Veteran durchaus Sorgen bereitet. „In einigen Staaten wird nicht mehr mit dem Willen zur Gemeinsamk­eit argumentie­rt, sondern mit der Angst gespielt. Dann sagen sie: Die EU blockiert alles. Dabei sind wir alle die EU, und sie sind es, die alles blockieren. Und dann kommen sie mit der einfachen Botschaft: Wir schützen euch mit einer nationalen Antwort. Das ist eine sehr gefährlich­e Entwicklun­g“, warnt der Abgeordnet­e.

„Man kann sich die EU ja wie eine Schule mit 28 Klassen vorstellen. Wenn die Klassen gegeneinan­der arbeiten, kann nie eine Schulgemei­nschaft entstehen“, sagt der ehemalige Schulsprec­her Othmar Karas.

Lange Arbeitstag

14-Stunden-Arbeitstag­e sind für den Vater eines 18-jährigen Sohnes eher die Regel denn die Ausnahme. Die europäisch­e Politik, sie ist immer mit dabei, daheim bei seiner Familie in Ybbs und in seinem Ferienhaus am Attersee. Und die Frage nach seinen Hobbys beantworte­t der wohl bekanntest­e EuropaAbge­ordnete des Landes nicht mit einem erwartbare­n Skifahren, schwimmen oder Ähnlichem, sondern mit einem Lachen: „Ich bin ein politische­r Mensch. Ich mache das gerne.“

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Trotzte so manchem Gegenwind aus der ÖVP-Zentrale in Wien: EU-Abgeordnet­er Othmar Karas

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