Umsiedler-Schicksal: Wenn die Kohle ein ganzes Dorf auffrisst
Abgebaggert. In Neu-Etzweiler hat die alte Kirchturmspitze überlebt. In Immerath-neu läuten vier Glocken der alten Kirche, obwohl die neue auf Kapellengröße geschrumpft ist. In Manheim-neu wurde eine Kapelle Stein für Stein transferiert. Es sind solche Symbole, an die sich nostalgische Bewohner klammern.
Noch immer werden im Rheinischen Revier ganze Dörfer umgesiedelt, die der Kohle-Tagebau förmlich auffrisst. Wolfgang Eßer (61) erlebt das zum zweiten Mal: Sein Heimatort Königshoven fiel 1975 dem Revier Garzweiler I zum Opfer, etwa 20 Kilometer nördlich vom Hambacher Forst. Damals habe der Tagebau 40 Prozent der lokalen Bevölkerung Arbeit gegeben, heute sind es durch den Maschineneinsatz weniger. Aber samt Lieferfirmen und Bauindustrie sei RWE immer noch „ein gewichtiger Faktor“.
Als der Bundeswehr-Soldat 1984 nach Manheim zog, war klar, dass auch dort 1660 Einwohner verpflanzt würden. Nicht alle kamen mit, ältere Mitbürger zogen in betreutes Wohnen oder zu Verwandten. Der Rest zog möglichst rasch den Schlussstrich – die Umsiedlung läuft bis 2022, 90 Prozent sind aber schon in Manheim-neu gelandet. Für Sentimentalität bleibt wenig Zeit. „Emotional ist es, wenn Spielplätze verschwinden, wo wir als Kinder jeden Strauch kannten.“Sonst sei primär das Pendeln zwischen den Orten ein Stress – und der unvermeidliche Baulärm, wenn ein neues Dorf wächst. Das Vereinsleben wurde gerettet, sagt Eßer als Vorsitzender des Fußballvereins stolz: „Alle zogen an einem Strang.“
Neider gibt es dabei viele. Dass man mit der RWE-Entschädigung reich werde, sei aber nur ein Gerücht. Hausbesitzern wurde der Zeitwert der Gebäude und Gründe abgelöst, mit Zulagen. „Sonst wäre es unmöglich, ungefähr in derselben Größe zu bauen.“
Das Leben mit dem Tagebau ist für Eßer Alltag. Feinstaub? „Den spüren wir eh nicht. Meine Mutter hat es aber geärgert, wenn ihre weiße Wäsche schwarze Punkte hatte.“Manchmal fiel auch der TV-Empfang aus, wenn die 200-Meter-Bagger auf der obersten Sohle schaufelten.
Genervt vom Protest
Die Klima-Aktivisten stoßen bei den Umsiedlern auf Unverständnis. „Ich kenne keinen, der etwas für den Protest übrig hätte“, sagt Eßer. Besonders verärgert die Anrainer, dass die Aktivisten alles zweckentfremden, was nicht niet- und nagelfest ist. Oder die Obstwiese als Parkplatz und Mülldeponie missbrauchen. Die Tiere im Forst hätten nach der jahrelangen Waldbesetzung ohnehin längst das Weite gesucht. „Und irgendwo muss die Kohle ja herkommen.“
Ein Alt-Manheimer habe den Umzug verweigert. „Ich schieß’ auf die, wenn sie kommen“, drohte der Eigenbrötler den RWE-Leuten. Dazu kam es nicht mehr. Er wurde vor einer Woche beerdigt.