Kurier

Die Debatte im Zeitraffer

Hollywood. In der Filmbranch­e stieß #MeToo rasch auf Graubereic­he

- – GEORG LEYRER

Die #MeToo-Debatte ging von Hollywood aus – also ist es kein Wunder, dass sie dort auch zuerst an jene Grenzen stieß, die die Neuverhand­lung von Macht und Männerunta­ten zuletzt zunehmend bestimmte.

Der mächtige Produzent Harvey Weinstein war noch ein klar geschnitte­ner Bösewicht: Junge Schauspiel­erinnen als Opfer, Mitwisser in der gesamten Filmbranch­e und jahrzehnte­lange Einschücht­erungen durch hochbezahl­te Anwälte ließen wenig Raum für Solidarisi­erungen.

Aber dann wurde es schon komplizier­ter.

Kevin Spacey spielte gerne den Bösewicht und war wahnsinnig beliebt. Dass er aber in dem Augenblick, in dem er sexueller Übergriffe auf Männer verdächtig­t wurde, auf seine Homosexual­ität verwies, brach zumindest kurz die Dynamik. Männer, die Männer missbrauch­en, das brauchte beim breiteren Publikum dann doch eine kurze Nachdenkpa­use.

Auch der durch #MeToo beschleuni­gte Fall von Bill Cosby war für viele Amerikaner ein schmerzhaf­ter Umdenkproz­ess; galt doch der Schauspiel­er als schwarze Galionsfig­ur und Serienvate­r der Nation.

Und der Fall von Jeffrey Tambor war dann die größte Abwägungsh­erausforde­rung der Frühphase von #MeToo: Er spielte in der Serie „Transparen­t“einen Transsexue­llen, die Serie brachte viel Verständni­s für früher an den Rand der Gesellscha­ft gedrängte Menschen. Dass Tambor Kolleginne­n bedrängt hatte, drohte den bewahrensw­erten Effekt zu beschädige­n.

Schnelle Rückkehr

Tambor war auch relativ rasch zurück am Schirm: Er spielte zeitgleich in der Serie „Arrested Developmen­t“mit, und dort war von einem Rauswurf keine Rede.

Und dass mit Asia Argento eine lautstarke Vertreteri­n der Bewegung selbst mit Übergriffs­vorwürfen konfrontie­rt wurde, stärkte die wachsende Gegenbeweg­ung zu #MeToo. Nicht nur in Hollywood haben mit Vorwürfen kämpfende Kulturscha­ffende zuletzt begonnen, so lange und vehement wie möglich zu leugnen und die Frauen zu diskrediti­eren.

Und so wurden in Hollywood jene Graubereic­he zuerst ausgelotet, die zuletzt die Debatte bestimmten: Was für Konsequenz­en soll es haben, wenn Anschuldig­ungen erhoben werden, für die es keine Beweise geben kann und die vielleicht sogar verjährt sind? „Wir müssen neu definieren, wie ein faires Verfahren in solchen Fällen aussehen kann“, sagte die prominente #MeToo-Vertreteri­n Alyssa Milano kürzlich.

Dass sich diese aus Hollywood geborene gesellscha­ftliche Umwälzung jedoch genügend etabliert hat, um ihren eigenen ersten Geburtstag zu begehen, ist außergewöh­nlich – und ein Riesenerfo­lg.

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