Kurier

Ein Rudel notgeiler Hyänen

Kritik. „Lulu – Eine Mörderball­ade“von den Tiger Lillies – fulminant am Grazer Schauspiel­haus

- – THOMAS TRENKLER

Die Geschichte der Lulu, von Frank Wedekind erzählt, ist natürlich ein Fressen für einen Moritatens­änger wie Martyn Jaques, den Kopf der britischen „Tiger Lillies“. Denn „das wilde, schöne Tier“, vom reichen Verleger Schön aus der Gosse geholt, verdreht allen Männern den Kopf – und stürzt sie der Reihe nach ins Unglück.

Den Medizinalr­at Dr. Goll zum Beispiel trifft der Schlag, als er Lulu mit dem Maler Schwarz erwischt; von Schön über das zügellose Leben der Muse in Kenntnis gesetzt, bringt sich dieser mit einer Rasierklin­ge um. Der sexuell hörige Verleger heiratet nun doch das Objekt seiner Begierde. Weil Lulu ihn permanent betrügt, auch mit seinem Sohn Alwa, will er seine Frau zum Selbstmord zwingen. Pech für ihn. Denn Lulu weiß sich zu wehren. Nach Gefängnis, Befreiung, Flucht und einem zügellosen Leben in Paris beginnt der lustvoll ausgekoste­te Abstieg: Als Straßendir­ne in London wird sie schließlic­h von Jack the Ripper abgeschlac­htet.

Drastische Verhältnis­se

Aus diesem Stoff hat Martyn Jaques einen rüden Liederzykl­us geschriebe­n. Für Zwischentö­ne ist in dieser „Murder Ballad“kein Platz: Vieles wurde eliminiert, darunter die Gräfin Geschwitz, mit der Lulu ein Verhältnis hat. Zudem macht Jaques aus Lulus angebliche­m Vater, dem Ga- noven Schigolch, einen zynischen Zuhälter.

Als „Musical“, konzentrie­rt auf die Songs, gelangte „Lulu – Eine Mörderball­ade“nun am Grazer Schauspiel­haus zur fulminante­n österreich­ischen Erstauffüh­rung. Erstens, weil Sandy Lopicic als musikalisc­her Leiter mit seiner Band für den typischen Sound der Tiger Lillies sorgt, basierend auf Klavier, Akkordeon und Schlagzeug; einzig die singende Säge, die sich wehmütig durch viele Lieder der Tiger Lillies zieht, fehlt.

Hechel, hechel

Mit stoischem Gesichtsau­sdruck, als ginge sie das ganze Geschehen nichts an, spielen die fünf Musiker ihre Noten. Und doch werden sie immer wieder zu Akteuren. Denn in der äußerst pointierte­n Regie von Markus Bothe mit viel Pantomime und drastische­m Witz schnüffelt, hechelt ein ganzes Rudel notgeiler Hyänen („Tits! Tits!“) dem blutjungen Ding hinterdrei­n, das nicht recht weiß, wie ihm geschieht: Die Lulu der Julia Franz Richter spielt doch nur, sie turnt, tanzt, tänzelt. Als Opfer irrlichter­t sie stumm durch die Welt der Männer.

Lulus Puppenhaus, vier von Alexandre Corazzola exakt gleich möblierte Zimmer, steht im Riesenform­at auf der Drehbühne: Die Gesetze der Schwerkraf­t sind außer Kraft gesetzt, die Dimensione­n durcheinan­dergeraten – wie bei „Alice im Wunderland“. Unten rechts kauert Rudi Widerhofer, ein Meister grotesken Minenspiel­s, als Fettsack Goll in einem Stahlrohrb­ett. Daneben, in der Kammer des Shunning (Dr. Schön), steht die Welt im wahrsten Sinne Kopf. Das Zimmer des Sohns Alwa ist hochkant geklappt – und jenes von Schwartz um 90 Grad gedreht.

In karikaturh­aften Kostümen von Justina Klimczyk machen sich die Männer (Clemens Maria Riegler, Andri Schenardi, Mathias Lodd) zum Affen. Über all dem wacht Jörg Thieme, stimmlich sehr stark, als diabolisch­er Conférenci­er und „Vater“. Erst ganz zum Schluss darf Lulu, die geschunden­e Kreatur in High Heels, mit dem Song „My Heart Belongs to Daddy“von Cole Porter berühren. Eifrig bejubelte 80 Minuten.

KURIER-Wertung:

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Sie spielt doch nur: Julia Franz Richter und Rudi Widerhofer

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