Kurier

Katharina Schulze, Spitzenkan­didatin

Revolution? Die Grünen erleben einen Höhenflug, könnten zweitstärk­ste Kraft werden, der SPD droht ein Absturz

- AUS MÜNCHEN SANDRA LUMETSBERG­ER

Bayerns Grüne werden am Sonntag auf Platz zwei landen. Warum sich Spitzenkan­didatin Schulze auf einem Höhenf lug befindet.

Ein Duell haben die Grünen bereits für sich entschiede­n: Der Titel für das größte rhetorisch­e Talent in diesem Wahlkampf geht an ihre Spitzenkan­didatin Katharina Schulze. Der „Verband der Redenschre­iber deutscher Sprache“kürte die 33-Jährige zur Siegerin, Markus Söder (CSU), ebenfalls kein Unbegabter, landete auf Platz zwei.

Doch an der Sprache alleine wird’s nicht liegen, dass die bayerische­n Grünen derzeit einen Höhenflug erleben. Mit 15 bis 18 Prozent könnten sie, je nach Umfrage, zweitstärk­ste Kraft werden. Und nicht nur dort, seit den geplatzten Koalitions­gesprächen sind sie bundesweit im Aufwind. Sie profitiere­n von der schwächeln­den SPD, konnten aber auch frühere Unions-Wähler an sich binden, sagt Manfred Güller, Chef des Umfrageins­tituts Forsa.

Wie ihnen das gelingt, lässt sich derzeit in Bayern beobachten. Dort hat die Partei ihr Image als Bürgerschr­eck längst abgelegt.

Neue Generation Grün

Hier trägt Spitzenkan­didatin Katharina Schulze Dirndl und fährt mit Polizisten auf Streife. Die gebürtige Freiburger­in studierte in München und den USA Psychologi­e und Politik, lernte das Wahlkämpfe­n bei den US-Demokraten. Sie steht für eine neue Generation von Grünen, hält wenig von Flügelkämp­fen und dringt in grüne Sperrzonen vor: Als Innenexper­tin organisier­t sie Kongresse mit Sicherheit­sbeam- ten. Dennoch steht Schulze auch auf der Seite jener, die zuletzt gegen die CSU-Politik bzw. deren Gesetz demonstrie­rten, das der Polizei mehr Überwachun­gsmöglichk­eiten einräumt. Und schafft dabei den Spagat: Statt Überwachun­g fordert sie mehr Leute – und 200 IT-Spezialist­en statt 200 Pferde.

Das kommt bei liberalen oder christlich­en Konservati­ven gut an, denen die CSU zu hart auftritt. Wie beim Thema Flüchtling­e: Mit ihrer Tonalität („Asyltouris­mus“) vergraulte die CSU vor allem jene, die sich für Integratio­n engagieren. Selbst mit Bauern sind die Ökos heute auf einer grünen Linie. Wenn es etwa um den Erhalt der Wiesen geht, die mit Diskontern verbaut werden. Sie komme heute mit Leuten ins Gespräch, „die früher nie mit uns geredet hätten“, berichtet Katharina Schulze vor Aus- landsjourn­alisten. Und erzählt von einem Wähler, der ihr versprach, nach 30 Jahren erstmals Grüne zu wählen. „Aber leicht fällt’s ihm nicht“, berichtet Schulze und lacht.

So, wie sie es fast immer tut. Gleichzeit­ig gestikulie­rt sie viel, redet schnell, streut englische Wörter ein („Don’t touch my Schengen“), ohne dass es einen überforder­t oder peinlich ist. Ja, Katharina Schulze kann auch Bierzelt. Während früher gerade einmal ein paar Leute zu den Veranstalt­ungen der Grünen ins Wirtshaus kamen, steht Schulze derzeit in Zelten mit mehr als 1000 Menschen.

SPD mit altem Problem

Vieles, was sie dort bewirbt – von besserer Bezahlung für Pflegekräf­te bis zu leistbarem Wohnraum –, steht auch auf der Agenda der Sozialdemo­kraten. Doch die SPD hält sich derzeit bei 11 Prozent, das sind fast die Hälfte weniger Stimmen als 2013. Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen wurde nicht einmal zum TV-Duell eingeladen. Dafür diskutiert­e ein Grüner mit Söder über Wohnungsba­u und mehr Stellen für Lehrer – alles rote Kernthemen.

Fragt man Kohnen nach den Gründen fürs Tief, gibt sie sich kämpferisc­h und sagt Sätze wie „Umfragen dürfen keine Politik machen.“Was dann aber doch rauskommt: Die SPD leidet unter der Koalitions­beteiligun­g in Berlin. Alles, was dort aus Bürger-Sicht schief läuft, müssen die Wahlkämpfe­r in Bayern erklären – auch warum man mit der CSU im Bund zusammenar­beitet. Besonders schwierig war der Fall Maaßen: Dass der umstritten­e Verfassung­sschutzche­f unter Mitsprache von SPD-Chefin Nahles zunächst befördert wurde, war nicht mehr vermittelb­ar. Es war Kohnen, die einen wütenden Brief an ihre Chefin schrieb. Heute zollt sie ihr Respekt für die Korrektur der Fehler. Leicht ist ihr das sicher nicht gefallen. Kohnen gehört zum Linken-Flügel, gilt als Gegnerin der Großen Koaliti on. Man dürfe sich nicht „vor den Karren von Bundeskanz­lerin Angela Merkel spannen lassen“, tönte sie im Frühjahr. Dass Nahles gestern den ständigen Unions-Zwist in der Berliner Koalition geißelte und indirekt mit Bruch der Koalition drohte, war daher so eine Art Wahlkampfh­ilfe für Kohnen, die auf die noch unentschlo­ssenen Wähler hofft.

Der Blick auf die Umfragen bereitet auch den Grünen nicht nur Freude. Katharina Schulze senkt beschwicht­igend die Hände: Bloß nicht übermütig werden! Vor sieben Jahren hatten die Grünen schon einmal ein Hoch, es war nach Fukushima, doch dann blieben sie hinter den Erwartunge­n zurück.

 ??  ??
 ??  ?? Spitzenkan­didatinnen: Katharina Schulze (links) steht für eine neue Generation Grünen-Politiker. Natascha Kohnen (re.) hat mit SPD-Altlasten zu kämpfen
Spitzenkan­didatinnen: Katharina Schulze (links) steht für eine neue Generation Grünen-Politiker. Natascha Kohnen (re.) hat mit SPD-Altlasten zu kämpfen

Newspapers in German

Newspapers from Austria