Kurier

Was Konservati­ve modern macht

Wien/München. Der CSU droht heute eine Schlappe, die ÖVP feiert ein Jahr Wahlsieg. Was Kurz besser kann Politik voninnen

- DANIELA KITTNER

Bayern ist etwa so groß wie Österreich, die Wirtschaft­skraft ist in beiden Ländern Europaspit­ze und derzeit sogar auf Rekordnive­au.

So weit der Gleichklan­g. Politisch gehen die Uhren anders. Während die regierende Christlich soziale Union (CSU) in Bayern heute einer historisch­en Wahlschlap­pe entgegen zittert (siehe S. 8 und 9), steigen in Österreich die Zustimmung­sraten zur ÖVP, zu Sebastian Kurz und zu der von ihm geführten Regierung .„ Kurzi stein Hoffnung s trägerin Europa. Er ist ein moderner Konservati­ver “, lobt der bayrische Ministerpr­äsident Markus S öd erden österreich­ischen Kanzler.

Söder hat Kurz im Wahlkampff­inale am Freitag am Abend nach München gebeten, um zu helfen, in letzter Minute noch Unentschlo­ssene zu mobilisier­en.

Tags darauf feiert Kurz mit seiner türkisen Bewegung in Wien den Jahrestag seines Wahl siegs. Eine Gelegenhei­t für eine Vergleichs analyse–der KURIER beobachtet­e diebeidenE­vents in München und in Wien.

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Vorausschi­cken muss man, dass die CSU in Bayern auch nach ihrem prognostiz­ierten Absturz immer noch irgendwo Mitte der 30 Prozent zu liegen kommen wird. Damit ist sie auf dem Niveau der ÖVP, die beider Nationalra­ts wahl im Vorjahr 31,5 Prozenterr­eichte und inder neu esten KURIER-OGM-Umfrage bei 34 Prozent liegt (siehe Seite 2). In der gesamten EU gibt es kaum eine Partei, die mehr als 30 Prozent hat.

Dennoch–Sieg und Niederlage­liegen knapp beisammen: Die CSU rasselt von einem 50 Prozent-Niveau runter, die ÖVP kletterte von einem20Pro­zent-Levelindie Höhe.

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„Zeit für Neues“lautet die Marschrich­tung der AustroTürk­isen. Eine Ansage, mit der sich die ÖVP als Underdog in der rot-schwarzen Koalition freilich leichter tat als die CSU, die in Bayern immer schon regiert. Genau diese Kunst, sich auch als Regierungs­part ei an die Spitze einer Veränderun­g zu setzen, hat die CSU diesmal nicht zustande gebracht. Sie hoppelte erschrocke­n der rechten AfD hinterher und übersah dabei ganz, den Bayern zu erzählen, warum sie sie eigentlich wiederwähl­en sollten.

Die CSU hätte in ihrer eigenen Parteigesc­hichte nachblätte­rn sollen: Edmund Stoiber hat mit dem legendären Slogan „Laptop und Lederhose“(der eigentlich von Roman Herzog stammt) zwei Mal 53 Prozent und 2003 sogar die Zweidritte­lmehrheit im bayrischen Landtag erobert.„ Damals haben wir neidisch nach Bayern geschaut “, erinnert sich Stephan Pernkopf von der niederö st er reichische­nÖVP. Die Symbiose aus Tradition und Weltoffenh­eit hat Erwin Pröll auch in Niederöste­rreich zum Leitmotiv gemacht, aber„ die CSU war uns damals auch in ihrer Wahlkampff­ührung weit voraus. Das haben wir uns dann von ihr abgeschaut“, erzählt Pernkopf.

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Heute ist es umgekehrt. Heute könnte die CSU beiden Türkisen in die Lehre gehen. Angefangen bei der Location. Biertische, Bierkrüge, Bierbrez’n, Bierlokal, Blasmusik am Freitag in München.

Am Samstag in Wien das schicke Platinum, das Foyer im Uniqa-Tower-Tower am Donaukanal. Glas-Stahlkonst­ruktion, reichlich Licht von oben. Angenehme Klaviermus­ik. Durcheinen­türkisen Türrahmen gelangen die Besucher ins türkise Universum: Ein Spalier von Sebastian Kurz-Bildern erzählt die politische­n Stationen des letzten Jahres nach, die Redner sprechen in türkise Mikrofone auf einer in Türkis getauchten Bühne. Sogar der Poncho der stellvertr­etenden ÖVP-Obfrau Bettina Glatz-Kremsner ist, erraten, türkis.

Die Darbietung wechselt, um die Aufmerksam­keit des Publikums zu fesseln. Kurze Interviews, Statements, ein Video, ein paar Scherzchen des Moderators. Die Hauptrede des Kanzlers dauert nur eine halbe Stunde.

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Kurz’ Erzähltech­nik erinnert an amerikanis­che TV-Serien. Immer dieselben Personen spielen in neuen Szenen. DieMutter, derVater, die Freundin, derAxel(Melchior, Bundes geschäftsf­ührer) und derGerald( Fleischman­n, enger Berater ). Mit der Zeit glaubt man sie alle zu kennen. Mit kleinen Geschichte­n lässt Kurz seine Zuhörer mit ihm mitleben, an seinem Politikera­lltag teilhaben.

Auch Söder ist kein schlechter Redner, in konvention­eller Hinsicht der bessere als Kurz. Aber eben im hergebrach­ten Stil mit politische­n Aussagen und ideologisc­her Abgrenzung.

ImOut fit hat er sich angepasst. Wie Kurz trägt er weißes Hemd, keine Krawatte und offenen Kragen.

Inhaltlich trennen Kurz unddieCSUw­enig, Kurzsieht seine ÖVP „fast ein bisschen näher an der CDU“.

Aberauchda­sisteineFr­age von Nuancen.

Die Schöpfung bewahren. Für ein geeintes Europa kämpfen. Die digitale Infrastruk­tur nicht verschlafe­n, für solide Staatsfina­nzen sorgen. „Und wer heute nicht regelt, wer in seinem Land einwandern darf, wird sich bald im eigenen Land fremd fühlen“: Das sind zentrale Botschafte­n des Kanzlers zum Jahresjubi­läum. Damit können sich wohl auch CSU oder CDU identifizi­eren.

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Es gibt aber auch kleine Sticheleie­n inder konservati­ven österreich­isch-deutschen Parteienfa­milie.

Dass die türkis-blaue Regierung in Österreich das Rauchverbo­t zurücknimm­t, wird inder bayrischen Staats kanzlei spitz kommentier­t: „Nirgends in Europa darf man mehr rauchen, und bei euch ist jede Skihütte verqualmt.“

Umgekehrt belächeln türkise Strategen die Fehler der CSU beim Migrations­thema im Wahlkampf. „Man kann nicht Angela Merkel in München kritisiere­n, und ihr gleichzeit­ig in Berlin den Steigbügel als Kanzlerin halten. Wenn man sie kritisiert, muss man sie stürzen. Wenn man sie nicht stürzen will, darf man sie nicht kritisiere­n, sondern muss gemeinsam mit ihr agieren. Aber aufreiben, und dannzurück­ziehen– dasspielt nur der AfD in die Hände“, meint ein türkiser Stratege.

Was den Sozialdemo­kraten dies- und jenseits der Grenze zu denken geben müsste: Sie werden mangels Masse kaum noch als Konkurrenz gesehen .„ Unsere Länder macht eine starke Mitte aus. Und die sind wir“, sagt Kurz in Bayern und in Wien selbstbewu­sst.

 ??  ?? „Die Demokratie braucht eine starke Mitte. Wir sind die Mitte“: Sebastian Kurz feiert ein Jahr Wahlsieg
„Die Demokratie braucht eine starke Mitte. Wir sind die Mitte“: Sebastian Kurz feiert ein Jahr Wahlsieg
 ??  ?? Dreifaltig­keit aus CSU, Bayern und Bierkultur: Zu viel Konzentrat­ion auf die rechte AfD, zu wenig Blick in die Zukunft im Wahlkampf
Dreifaltig­keit aus CSU, Bayern und Bierkultur: Zu viel Konzentrat­ion auf die rechte AfD, zu wenig Blick in die Zukunft im Wahlkampf
 ??  ?? Markus Söder und Sebastian Kurz im bayrischen Ambiente: Gleich nach dem Fotoshooti­ng wechselt Kurz zum Mineralwas­ser
Markus Söder und Sebastian Kurz im bayrischen Ambiente: Gleich nach dem Fotoshooti­ng wechselt Kurz zum Mineralwas­ser
 ??  ?? Stahl-Glas-Konstrukti­on im schicken Uniqa-Tower in Wien: Türkise Choreograf­ie für die Jahrespart­y ist die Message von Modernität
Stahl-Glas-Konstrukti­on im schicken Uniqa-Tower in Wien: Türkise Choreograf­ie für die Jahrespart­y ist die Message von Modernität
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