Vom Bordell zum Würstelstand
Prostituierte auf Jobsuche. In der „normalen Arbeitswelt“Fuß zu fassen, ist schwer. Zwei Frauen erzählen
Das Leben war selten gut zu ihr. Sandra – diesen Namen hat sie sich für die Zeitung selbstausgesucht– wurdemit 19 Jahren in die Prostitution verkauft. 30 Jahre war die Wienerin in der Branche. „Irgendwie muss man ja Geld verdienen, obwohl mir die Männer am A* gehen. Je höherihrePosition, destowahnsinniger sind sie“, sagt sie. Sandra lässt sich heute nicht mehr bevormunden. Sie ist eine resolute Frau. Und sie hat einen Job außerhalb des Milieus gefunden. Seit einigen Monaten arbeitet sie in einem Würstelstand.
Der Weg in einen konventionellen Beruf war nicht einfach. Wir treffen Sandra in der Volkshilfe-Einrichtung „Sophie“– hier bekommen Prostituierte Hilfe. Speziell bei der Jobsuche.
Selbstwille
SandraistseitJahrenStammgast. Hier hat sie Unterstützung gefunden, als sie weg wollte. Als der Punkt erreicht war, an dem sie nicht mehrkonnte.„EinStalker, ein korrupter Polizist und ein neues Leben. Deshalb“, erklärtsieihreGründe. DieFrau mit den blonden, kurzen Haaren hat neu angefangen. Mit viel Selbstwillen, wie sie betont. Sandra strahlt eine gewisseHärteaus– dasLeben hat sie geformt.
20.000 Euro. Diesen Schuldenberghatihrderletzte Freund hinterlassen. Allein kann sie den mit ihrem Gehalt vom Würstelstand nicht abbauen. Aber Sandra hat Glück. Sie hat einen neuen Lebensgefährten gefunden. Einen, der einen Job hat und ihr hilft. Sie ist stolz darauf. „Er weiß, was ich gemacht hab. Und er weiß, dass ich es nur fürs Geld gemacht habe.“Auch ihr Chef kennt ihre Geschichte. Nachteile habe ihr das keine gebracht. „Er hat Respekt vor mir“, meint sie.
Eva van Rahden leitet das Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen. Und sie kenntdieStärkenderFrauen. „Sie haben Empathie, Menschenkenntnis und auch ein gewisses Verkaufstalent.“Doch der Job „Prostituierte“ist im Lebenslauf kein Pluspunkt. „Sexarbeiterinnen werden noch immer extrem stigmatisiert. Deshalb sind wir dann bei der Umschreibung der Tätigkeit sehr kreativ.“
Dennoch sind es meistens niedrig qualifizierte Jobs, in denen sie Fuß fassen können. In der Reinigung, als Küchen- oder Heimhilfe. „Das kann zum Problem werden. Denn wenn sie wenig verdienen, gehen sie eher wieder zurück in die Sexarbeit.“
Magdalena (Name geändert, Anm.) arbeitet aktuell in der Küche eines Pflegeheimes. „Ich habe nicht gerne als Prostituierte gearbeitet“, sagt die 48-Jährige. 20 Jahre lang verdiente sie ihr Geld in Etablissements und auf der Straße. Vier oder fünf Anläufe hat sie benötigt, um dieses Leben hinter sich zu lassen. „Ichhabe40Lebensläufeverschickt. Und keine einzige Antwortistgekommen“, erinnert sie sich.
Ein halbes Jahr
In ihrer Heimat Ungarn hat sie Verkäuferin gelernt. Als sie keinen Job fand, ging sie freiwillig in die Prostitution. „NurfüreinhalbesJahr“– das war der Plan. Doch immer wieder kehrte sie zurück.
InihremUmfeldweißkeiner davon. Es darf auch keinerwissen.„MeineFamilieist sehr gläubig.“Lange hatte sie die Befürchtung, ein Kunde könnte ihr zufällig begegnen und sie in eine unangenehme Situation bringen.
Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist. Einrichtungsleiterin Van Rahden kennt einen Fall, in dem ein Kunde eine ehemalige Prostituierte – sie hatte einen Job in einer Bäckerei gefunden – outete. „Die Frau hat ihren Job verloren“, schildert Van Rahden.
Magdalena lebt jetzt ein bescheidenesLeben.„DieUngewissheit, obichgenugGeld verdiene und wer die Männer sind, die ist weg“, sagt sie. Sie hat mit ihrem neuen Leben Frieden geschlossen. Wenn sie das Bedürfnis hat, über ihre Vergangenheit zu reden, setzt sie sich in die UBahn und fährt in die „Sophie“. Dort kennt sie jeder und der Kaffee ist gratis.