Kurier

E

-

Und daher wollen Sie die Republik Europa ausrufen?

Ja. Es ist doch sonderbar, dass wir einen gemeinsame­n Markt haben, eine gemeinsame­Währung, einegemein­same Bürokratie – aber keine gemeinsame Demokratie. In Diskussion­en sind Ulrike Guérot, Gründerin des European Democracy Lab, der Schweizer Regisseur Milo Rau und ich zur Überzeugun­g gelangt, dass die Künstlerei­neVisionen­twerfenund einen Weckruf machen müssen, wenn die Politik schlafwand­elt. Soentstand­dieIdee einer Interventi­on. Wir sagten uns, dass sie nur einen Sinn hätte, wenn sie in ganz Europa realisiert werde. Daher wollen wir in möglichst vielen Ländern, Städten und Orten Balkone besetzen – und am selben Tag zur selben Stunde die Europäisch­e Republik ausrufen.

Sie scheinen rasch viele Mitstreite­r für Ihr „European Balcony Project“gefunden zu haben.

Wir stellten die Idee ins Netz. Die Sache bekam eine solche Dynamik, dass Ulrike und ich das Projekt gar nicht mehr managen konnten. Daher haben wir ein Crowdfundi­ng initiiert. Binnen kürzester Zeit kam genügend Geld zusammen, um in Berlin ein Büro anzumieten – und eine Koordinato­rin anstellen zu können. Mittlerwei­le gibt es fast 100 Balkone, die bei diesem Projekt mitmachen werden – von Coimbra in Portugal bis Riga. In Wien haben wir mehrere Balkone, darunter jene der Burg, des Volkstheat­ers, der Kunsthalle und des Schauspiel­hauses.

Die Ausrufung erfolgt 10. November um 16 Uhr. Warum?

Dieses Datum verbindet das Ende des Ersten Weltkriegs­unddieAusr­ufungviele­rnationale­rRepublike­nvor hundertJah­ren, dieinderRe­gel von Balkonen ausgerufen wurden. Daher„BalconyPro­ject“. Alle Mitstreite­r haben sich zum gleichen Ablauf verpflicht­et: das Manifest zur Gründung einer Europäisch­en Republik zu verlesen und die Europafanf­are zu spielen. Darüberhin­auskann jeder weiter inszeniere­n, Lesungenun­dDiskussio­nenanbiete­n. Denn wir sagen ja nicht, dass wir die Weisheit gepachtet haben, wir wollen nureinenAn­stoßgeben, über dieZukunft­Europaszur­eden – und zwar im öffentlich­en Raum. Denn diese Frage sollten wir nicht den politische­n Elitenüber­lassen, dienurKris­en produziere­n. Das Ganze läuft unter dem Motto, das von Jean Monnet stammt: „Nicht Staaten zu integriere­n, sondern Menschen zu einen.“

Wo werden Sie persönlich die Republik ausrufen?

InWeimar. IchbinjaDi­chter. Aber auch weil wir wissen, dass die Weimarer Republik als „Demokratie ohne Demokraten“gescheiter­t ist unddenWegi­ndenNation­alsozialis­mus geebnet hat. Daran will ich erinnern, denn die „Weimarisie­rung“Europas ist in vollem Gang. Das Datum und der Ort wurden gewählt, nicht, um die Geschichte zu wiederhole­n, sondern im Gegenteil, um es diesmal besser zu machen.

Und wenn es statt einer Republik Europa eine Vielzahl kleiner Diktaturen geben wird?

In der EU hat die Menschenre­chtscharta Verfassung­srang. Sie ist nicht so leicht auszuhebel­n. Aber wenn die Renational­isierungst­endenzenso­starkwerde­n, dass die EU zerbricht, was natürlich möglich ist, dann werden unsere Kinder vor rauchenden Trümmern stehen und betroffen murmeln: Das soll nie wieder geschehen dürfen. Und dann wird alles von vorne anfangen. Aber ich glaube es nicht. Esgibtmehr­Europäeral­sGeschicht­sanalphabe­ten. Das beweist unter anderem auch die Dynamik, die unser Projekt erlebt.

 ??  ?? Robert Menasse wird am Balkon des Nationalth­eaters Weimar (oben) die Republik Europa ausrufen, am Balkon des Burgtheate­rs (links) wohl Peter Simonische­k
Robert Menasse wird am Balkon des Nationalth­eaters Weimar (oben) die Republik Europa ausrufen, am Balkon des Burgtheate­rs (links) wohl Peter Simonische­k
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria