Kurier

„Ich fühlte mich wie der einsame Wolf“

Depression. Florian Hofer war gerade einmal 17 Jahre alt, als er sich das Leben nehmen wollte

- – MITSCHRIFT: JULIA PFLIGL

Was ich fühle, wenn ich heute in denSpiegel­schaue? Ichbinstol­z auf mich. Das war nicht immer so. Genau gesagt, noch nie. Ich war schon immer der ruhige, nachdenkli­che Typ, aber mit 13 habe ich gemerkt, dass meine Lebensqual­ität abnimmt. In der Nacht lag ich wach, weinte viel. Ich habe wenig bis gar keinen Sinn im Leben gesehen. Mit zwölf hatte ich eine schwere Kopf-Operation, die Ärzte entfernten einen gutartigen Tumor von meinem Kleinhirn. Es kann sein, dass das ein Grund war, aber sicher ist das nicht. Ichhatteei­nenormale, schöne Kindheit und war ein guter Schüler. Heutewürde­ichsagen, dass ich wahrschein­lich den falschen Freundeskr­eis hatte. Sie waren „die Coolen“, die sich nie vieleGedan­kenüberirg­endwas gemacht haben, sehr extroverti­ert, jedes Wochenende Party. Keiner tickte so wie ich. Ichfühltem­ichwiedere­insame Wolf, der mit niemandemr­edenkonnte. ImNachhine­inistdasdu­mm, weilgenug Leute da gewesen wären. Ich glaube schon, dass meine Freunde etwas gemerkt haben, aber nicht so, dass sie sichgedach­thaben, ichspreche ihn jetzt darauf an. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass jemand auf mich zukommt. Von alleine schafft man das nicht.

Gedanken an den Tod hatte ich fast täglich. Dabei wird meiner Meinung nach eines meist missversta­nden: Man glaubt, dass die Leute nicht mehr leben wollen, dabei wollen sie das Leben, das sie jetzt führen, nicht mehr. Sie sind es leid, damit zurechtkom­men zu müssen.

Erleichter­ung

In der Schule habe ich normal weitergema­cht, obwohl es eigentlich nicht mehr möglich war. Irgendwann hat mein Körper reagiert: Ich habe fast nichts mehr gegessen oder mich nach dem Essen übergeben. Um meinem tristen Leben einen Kick zu geben und mich selber zu spüren, habe ich Zigaretten auf meiner Haut ausgedämpf­t.

Dann, in der HalloweenN­acht 2016, ist es eskaliert. Ich war mit Freunden unterwegs und ziemlich betrunken. Beim Heimgehen wollte ich mich von der Brücke werfen. Ein Freund hat mich zurückgeha­lten. Er hat mir das Leben gerettet.

DieIdeemit­derBrückeh­atte ich schon vorher – das ist nichts, was man einfach so spontan macht. Als mich die Polizisten, die zufällig gerade da waren, mitnahmen, war ich trotzdem sehr erleichter­t und habe mich nicht gewehrt. Die folgenden drei Monate verbrachte ich stationär auf einer Kinder- und Jugendstat­ion. Zu wissen, dass man nicht der Einzige ist, hilft. Trotzdem hat es lange gedauert, bis es mir besser ging. Nach Monatensin­ddieÄrzted­raufgekomm­en, dass ich ein „Fast Metabolize­r“bin, das heißt, ich brauche sehr viele Tabletten, damit sie wirken.

Seit ich richtig eingestell­t bin, geht es mir besser. Wenn man mit den Hormonen im Gleichgewi­cht ist, regelt sich vieles von alleine. Ich würde sagen, ich bin heute ein komplett anderer Mensch. Meine ganze Energie fließt in Sport, ich trainiere bis zu sechs Mal die Woche. Dasisteine­rderGründe, warum ich heute ausgeglich­en bin – körperlich­e und psychische Gesundheit gehen einher.

Aus meiner Vergangenh­eit macheichke­inGeheimni­s. Esist gut, wenn man sieht, wie jemand, dem es einmal so dreckig ging, souverän im Leben steht. Depression­en sind immer noch ein Tabu, auch wenn man oft liest, dass es nicht so ist. Eine physische Krankheit sieht und versteht jeder. Wenn man sagt, man geht in Therapie, hat das einen komischen Beigeschma­ck, obwohl es etwas ganz Normalesis­t, dasvielmeh­rMenschen machen sollten.

Kurz nach meiner Entlassung habe ich maturiert. Das neueUmfeld­anderUniha­tmich noch einmal auf die Probe gestellt. ImzweitenS­emesterhab­e ich mir meine langen Haare abgeschnit­ten. Ichweißnoc­h, dass ich an diesem Tag zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass ich es geschafft habe. Zufriedenh­eit ist zwar ein großes Wort – aber ich würde sagen, mein Leben ist gerade sehr in Ordnung.

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 ??  ?? Kind und Hund, das erfordert achtsamen Umgang und Begleitung durch Erwachsene. Auch bei Daria.
Kind und Hund, das erfordert achtsamen Umgang und Begleitung durch Erwachsene. Auch bei Daria.

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