„Meine Sucht war eine Chance“
Alkoholismus. Hermann Hofstetter war alkoholkrank. Heute lebt er abstinent
Wennichzurückblicke, kannich sagen, dass meine Alkoholkrankheit mir den Start in ein neues Leben eröffnet hat. Das warfreilichnichtimmerso. LangeZeitpflegteich– wiewohlviele von sich behaupten würden – einen ganz normalen Umgang mit Alkohol. Ich bin im südlichen Niederösterreich aufgewachsen, baute dort mit meiner damaligen Ehefrau Haus, zog zwei Söhne groß und war als Gemeinderat und Mitglied des örtlichen Tennisvereins in meiner Umgebung vollständig integriert. Leiderwarendasgenau jene Tätigkeiten, die mich verstärkt mit Alkohol in Kontakt brachten. Egal, ob ein Geburtstag gefeiert wurde oder man mit Kollegen oder Freunden zusammensaß – irgendeinen Anlass zum Trinken gab es immer. Ich bemerkte nicht, dass sich mein Konsum – ich war damals Mitte 40 – steigerte und das Trinken zum Ritual wurde.
Irgendwann trank ich nicht mehr nur in Gesellschaft, sondern weil ich beruflich zum Teil überfordert war, sich in meiner Ehe Beziehungsprobleme auftaten, mein Sohn die Schule schmiss und meine Mutter an Krebs erkrankte und verstarb. Aus Erfahrung wusste ich, dass Alkohol mir Linderung verschaffen würde. Also griff ich zum Glas. Ich begann mit Bier und gespritztem Wein. Als das nicht mehr die gewünschte Wirkung brachte, trank ich den Wein pur und aus der Flasche. Das Teuflische daran war, dass das eine ganze Weile lang sehr gut klappte. Heute weiß ich, dass ich mir etwas vorgemacht habe, ich war bereits zu diesem Zeitpunkt ein Problemtrinker. Mit knapp 50 merkte ich, dass ich Alkohol brauchte, um überhaupt zu funktionieren. AmWochenendetrank ich oft täglich zwei Flaschen, um mich stabil zu fühlen. Unter der Woche wurde ich spätestens gegen Nachmittag unrund – ein Schluck aus der Schnapsflasche half. Irgendwann wusste ich nicht mehr, ob ich trank, weil meineLebenssituationbelastend war, oder ob mein Leben belastet war, weil ich ständig trank. Ich zog die Notbremse.
Rückschlag und Neustart
Ich begab ich mich für einen stationären Aufenthalt in das Psychosomatische Zentrum Waldviertel in Eggenburg. Dort lernte ich, meine Sucht anzunehmen und Strategien zu entwickeln, um einen Weg aus der Krise zu finden. Nach sieben Wochen kehrteichgutenMutesnachHause zurück. Als ich ankam, wurde ich wieder aus der Bahn geworfen: Meine Frau hatte während meiner Abwesenheit den Entschluss gefasst, unsere Beziehung zu beenden. Das war ein Schock – das Verlangen nach Alkohol naheliegend und groß. Dass ich damals nicht zum Glas gegriffen habe, darauf bin ich noch heute stolz. Diese Entscheidung ebnete den Weg für das Leben, das ich heute führe. Der Klinikaufenthalt war nur der Anfang. Ich merkte rasch, dass ich mich in meinem gewohnten Umfeld nicht mehr wohlfühlte. Ich hatte ein Problembewusstsein entwickelt, die Menschen um michherumwarenaberunverändert. Anlassbezogen gab es auch immer noch Situationen, in denen ich einen Ausweg im Alkohol sah. Nach einem Stabilisierungsaufenthalt in Eggenburg undderErkenntnis, dassichmich dafür nicht schämen muss, fand ichinderSelbsthilfeorganisation Blaues Kreuz Halt. Heute bin ich dort ehrenamtlich als Obmann tätig und habe so nach einer Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater auch eine spannende, neue Aufgabe gefunden.
Mittlerweile trinke ich seit 14 Jahren keinen Alkohol mehr, bin wieder glücklich verheiratet und fühle mich in meiner Haut wohl. Hätte es die Sucht nie gegeben, würde ich heute nicht dieses Leben führen. Für mich war meine Erkrankung also auch die Chance auf einen Neubeginn.