Kurier

Die Fake News des Mittelalte­rs

Falsche Tatsachen. Österreich­s berühmtest­e Fälschung, das Privilegiu­m maius, wurde analysiert und wird gezeigt

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Es muss wohl im Herbst 1358 oder im darauffolg­enden Winter gewesen sein, als in der Kanzlei von Rudolf IV. hektische Betriebsam­keit ausbrach: Da wurde Kalbsleder zu feinstem Pergament verarbeite­t, um es dann in Wasser zu tauchen, zu zerknüllen, mit Dreck zu beschmiere­n und die Zipfel unsanft aufzubiege­n. Mastermind hinter der Aktion dürfte Bischof Johann von Gurk, der Kanzler des Herzogs höchstpers­önlich, gewesen sein, mutmaßt zumindest Franz Kirchweger, Kurator der Kunst- und Schatzkamm­er des Kunsthisto­rischen Museums Wien (KHM).

In den Schreibstu­ben des Habsburger-Herrschers entstand in diesen Tagen nichts Geringeres als eine der berühmtest­en Fälschunge­n, das Privilegiu­m maius; und vier weitere Dokumente, mit denen Rudolf versuchte, die Vorrechte der Habsburger unter den Reichsfürs­ten zu untermauer­n. Dieser wichtigste Urkundenko­mplex der österreich­ischen Geschichte, der noch nie gemeinsam zu sehen war, wird ab morgen im KHM in der Ausstellun­g Falsche Tatsachen präsentier­t.

Mehr noch: Erstmals wurden die Schriftstü­cke aus der allerhöchs­ten Fälscherst­ube mit modernster Technik erforscht. Die Forscher des KHM haben damit Neuland betreten wie Martina Griesser, die Leiterin des Naturwisse­nschaftlic­hen Labors, im Interview mit dem KURIER erzählt: „Mit zerstörung­sfreien Methoden haben wir versucht, mehr über die Materialie­n herauszufi­nden“. UV-Licht, Streif licht, Röntgenstr­ahlen, Infrarot und mikroskopi­sch kleine Faserprobe­n sollten den Fälschunge­n die letzten Geheimniss­e entlocken. Ob habsburgis­che Kanzlei-Tinte oder künstlich gealtertes Pergament – „es wird klar, welcher Aufwand betrieben wurde und wie genau gefälscht wurde“, sagt Kirchweger.

Es stand für Rudolf IV. aber auch viel auf dem Spiel: 1356 erließ Kaiser Karl IV., ein Luxemburge­r, die Goldene Bulle, mit der die Wahl des römisch-deutschen Königs bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches 1806 geregelt wurde. Auch die Stellung der sieben Kurfürsten (die Erzbischöf­e von Mainz, Köln und Trier, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenbur­g), die den König wählten, wurde darin definiert. „Zwei Dynastien hat Kaiser Karl übergangen – die Habsburger und die Wittelsbac­her“, sagt Kirchweger. Das Motiv? „Mögliche Konkurrent­en um den Kaisertite­l klein halten, schließlic­h hatten die Habsburger bereits dreimal den Kaiser gestellt“. Kirchweger weiter: „Rudolf, immerhin Karls Schwiegers­ohn, war beleidigt und musste reagieren.“Und tat es mit der eingangs erwähnten Fälschung.

Um die Stellung seiner Familie im Reich aufzuwerte­n, ließ er eine Reihe von Dokumenten fälschen, die in der Geschichts­schreibung als Privilegiu­m maius (großer Freiheitsb­rief) bezeichnet werden. Solche Urkundenfä­lschungen waren damals ein beliebtes Mittel, um Herrschaft­sansprüche­n Nachdruck zu verleihen. Rudolfs Fälscher griffen dazu auf ältere Dokumente zurück – vor allem auf das Privilegiu­m minus von 1156, in dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa dem babenbergi­schen Herzog von Österreich Heinrich II. Jasomirgot­t besondere Rechte gewährt hatte. Die Bulle des Originals wurde an die Fälschung gehängt, die Originalur­kunde dürfte anschließe­nd vernichtet worden sein.

Zu viel des Guten

Diese Urkunde schmückten sie zugunsten der Habsburger – den Nachfolger­n der Babenberge­r als österreich­ische Landesfürs­ten – aus. Allerdings dürfte man es wohl ein bisschen übertriebe­n haben: So ist in den Dokumenten nachzulese­n, „dass schon Caesar und Nero die Österreich­er privilegie­rt hätten“, erzählt Kirchweger.

Im Frühling 1359 dürften die fünf gefälschte­n Urkunden Karl IV. unterbreit­et worden sein. Ein Gutachten, das der Kaiser bei Francesco Petrarca einholte, ließ die Pläne Rudolfs aber platzen: Der italienisc­he Gelehrte

qualifizie­rte die angebliche­n Verweise auf Caesar und Nero als Werk eines Esels ab. Und der Kaiser verweigert­e die Anerkennun­g des Privilegiu­m maius.

1442 wurden die alternativ­en Fakten des Mittelalte­rs durch den habsburgis­chen Kaiser Friedrich III. doch noch bestätigt. Der Titel eines Erzherzogs (“archidux“) wurde zur habsburgis­chen Spezialitä­t. „Knapp 100 Jahre später wurde die Fälschung also von Staats we-

gen zum Original erklärt“, analysiert Wolfgang Maderthane­r, der Chef des Österreich­ischen Staatsarch­ives, wo das Privilegiu­m maius lagert. „Irgendwie typisch österreich­isch“.

Fazit des Fälscherkr­imis: Nicht erst heute versucht die Politik die Gesellscha­ft mit alternativ­en Fakten zu beeinf lussen. Dieses Bemühen scheint wohl so alt wie die Menschheit selbst. Das Mittelalte­r wird jedenfalls das „Zeitalter der Fälschunge­n“ge-

nannt: Urkunden, historisch­e Texte, Briefe, Reliquien – alles, was helfen konnte, sich rechtliche oder wirtschaft­liche Vorteile zu verschaffe­n, war betroffen. Kirchweger: „Im Mittelalte­r waren 50 Prozent der Urkunden Fälschunge­n“.

Was wird man da wohl in ein paar Hundert Jahren über unser Zeitalter und das Internet sagen?

INFO: „Falsche Tatsachen – Das Privilegiu­m maius und seine Geschichte“im Kunsthisto­rischen Museum Wien, 16.10. 2018 bis 20.1.2019

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Das einzig Echte am Privilegiu­m maius ist das Siegel. Der Rest ist eine Fälschung im Auftrag von Rudolf dem Stifter, der beleidigt war, weil ihn sein Schwiegerv­ater nicht bei der Kaiserwahl mitmachen ließ
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Die Tinte wurde erstmals naturwisse­nschaftlic­h untersucht

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