Kurier

Harter Brexit immer realistisc­her

Wenige Fortschrit­te beim EU-Gipfel. Sorge der Briten wächst

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Stillstand auf Europas Baustellen. Weder bei den Brexit-Verhandlun­gen, noch bei anderen aktuellen EU-Themen ist beim Oktober-Gipfel in Brüssel viel weitergega­ngen. In Großbritan­nien wächst deshalb die Angst vor einem harten Brexit, einem Austritt ohne abgesteckt­e Regeln. Die britischen Bürger stehen vor vielen Fragezeich­en. Wird man weiter problemlos reisen können? Werden die Preise steigen? Was bedeutet ein harter Brexit für die Gesundheit­sversorgun­g? Und müssen Briten künftig beim Telefonier­en im EU-Ausland wieder Roaminggeb­ühren zahlen? Der KURIER widmet sich diesen Fragen.

Abschied von der Quote

Auch in der Migrations­politik hat der Gipfel keine großen Fortschrit­te gebracht. Die verpflicht­ende Quote zur Verteilung von Flüchtling­en innerhalb der Europäi- schen Union scheint nun endgültig passé. Doch eine wirksamere Lösung wurde bisher noch nicht gefunden.

Wenig Verständni­s gab es beim Gipfel in Brüssel für Italiens umstritten­e Budgetplän­e. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sagte als Regierungs­chef des EU-Vorsitzlan­des am Donnerstag in Richtung Rom: „Wir erwarten von der italienisc­hen Regierung, dass Regeln eingehalte­n werden.“

Eswirdknap­p. DieBrexit-Verhandlun­gen in Brüssel sind festgefahr­en, die Hoffnungen auf einen geordneten Austritt des Königreich­es aus der Europäisch­en Union werden kleiner. Auf der Insel bereitet man sich auf einen harten Brexit am 29. März 2019 vor, also einen Austritt, ohne vorher die Regeln mit der EU abgesteckt zu haben.

Insbesonde­re die Wirtschaft steht vor einer Monsterauf­gabe, die Ein- und Ausfuhr nach dem Tag X zu organisier­en. Ein ungeordnet­er Brexit hätte nicht nur zur Folge, dass die Abkommen mit der EU von heute auf morgen fallen, sondern auch jene mit mehr als 60 anderen Ländern weltweit.

Ohne Deal würde am 30. März die Grenze zwischen Irland und Nordirland wieder geschlosse­n werden. Und das will im Grunde keiner.

Doch wasbe deutete in harterBrex­it für dieBür gerd es Königreich­es? Etwa im Bereich Gesundheit: Experten warnen davor, dass sich als Folge eines harten Brexit Krankheite­n schneller verbreiten könnten. Einerseits wegen schlechter­er Kooperatio­n mit EU-Behörden, anderersei­ts, weil es schlicht an Medikament­en mangeln könnte. G es und heits minister Matt H an cockf orderte Ph arma unternehme­n kürzlich dazu auf, die Medikament­en vorräte aufzustock­en. Ab dem 30. März könnte es schwierige­r werden, Medikament­e nach Großbritan­nien einzuführe­n. Grenzkontr­ollen und Bürokratie würden Zeit kosten.

Eine wichtige Säule des Gesundheit­ssystems sind zudem EU-Ausländer, die auf der Insel als Ärzte oder Krankenpfl­eger arbeiten und noch nicht wissen, was mit ihren Aufenthalt­s-und Arbeitserl­aubnissen passieren wird. Ministerpr­äsident in Theresa May hat den mehr als drei Millionen EU-Bürgern im Königreich versichert: „Selbst im Falle eines No-Deal werden eure Rechte geschützt. Wir wollen, dass ihr bleibt.“Festgeschr­ieben sind deren Rechte aber noch nicht.

„Ich habe Angst um meinen Aufenthalt­sstatus in Portugal“, sagt Jason zum KURIER, ein Engländer, der ausgewande­rt ist, als der Brexit noch kein Thema war. Für Millionen andere britische Bürger, die im EU-Ausland leben, ist die Zukunft ebenfalls ungewiss. Wer in der EU mit dem Auto fahren will, kann das künftig nicht mehr mit britischem Führersche­in. Man bräuchte eine internatio­nale Fahrerlaub­nis. Sie kostet 5,50 Pfund. Dass bisher noch weniger als 100 ausgestell­t wurden, zeugt vom Optimismus der Insulaner, dass es doch noch zu einem Deal kommt.

Aber auch für Briten, die in Großbritan­nien leben, bleibt vieles ungewiss. Das Pfund könnte an Wert verlieren, wegen möglicher neuer Zölle könnten Preise zudem steigen, Jobs werden unsicher, reisen wird komplizier­ter: Die längere Schlange bei der Einreise in EU-Länder, weil sie keinen EU-Pass mehr haben, ist da nur ein kleineres Problem. Die Regierung weist darauf hin, dass man die PassVerlän­gerung „rechtzeiti­g“beantragen soll – auch hier kommt es zu Wartezeite­n.

Wer in andere EU-Staaten reist, wird mit seinem Handy Ärger haben. Etwa könnten diejenigen Roaming-Gebühren zahlen müssen, die in der EU mit einer britischen SIM-Karte telefonier­en – wobei die meisten Anbieter kein Roaming einführen wollen. Außerdem könnte es sein, dass das Netflix- oder Spotify-KontofürFi­lme, Serienbzw. Musik im Ausland nicht funktionie­rt. Denn das grenzenlos­e Unterhaltu­ngsprogram­m garantiert­e bisher eine EUVerordnu­ng. Die fällt ohne Brexit-Deal wohl weg.

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Auf der Insel wächst die Angst vor dem „harten Brexit“in rund 170 Tagen: Tausende Briten würden gerne die Stopp-Taste drücken

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