Harter Brexit immer realistischer
Wenige Fortschritte beim EU-Gipfel. Sorge der Briten wächst
Stillstand auf Europas Baustellen. Weder bei den Brexit-Verhandlungen, noch bei anderen aktuellen EU-Themen ist beim Oktober-Gipfel in Brüssel viel weitergegangen. In Großbritannien wächst deshalb die Angst vor einem harten Brexit, einem Austritt ohne abgesteckte Regeln. Die britischen Bürger stehen vor vielen Fragezeichen. Wird man weiter problemlos reisen können? Werden die Preise steigen? Was bedeutet ein harter Brexit für die Gesundheitsversorgung? Und müssen Briten künftig beim Telefonieren im EU-Ausland wieder Roaminggebühren zahlen? Der KURIER widmet sich diesen Fragen.
Abschied von der Quote
Auch in der Migrationspolitik hat der Gipfel keine großen Fortschritte gebracht. Die verpflichtende Quote zur Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäi- schen Union scheint nun endgültig passé. Doch eine wirksamere Lösung wurde bisher noch nicht gefunden.
Wenig Verständnis gab es beim Gipfel in Brüssel für Italiens umstrittene Budgetpläne. Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte als Regierungschef des EU-Vorsitzlandes am Donnerstag in Richtung Rom: „Wir erwarten von der italienischen Regierung, dass Regeln eingehalten werden.“
Eswirdknapp. DieBrexit-Verhandlungen in Brüssel sind festgefahren, die Hoffnungen auf einen geordneten Austritt des Königreiches aus der Europäischen Union werden kleiner. Auf der Insel bereitet man sich auf einen harten Brexit am 29. März 2019 vor, also einen Austritt, ohne vorher die Regeln mit der EU abgesteckt zu haben.
Insbesondere die Wirtschaft steht vor einer Monsteraufgabe, die Ein- und Ausfuhr nach dem Tag X zu organisieren. Ein ungeordneter Brexit hätte nicht nur zur Folge, dass die Abkommen mit der EU von heute auf morgen fallen, sondern auch jene mit mehr als 60 anderen Ländern weltweit.
Ohne Deal würde am 30. März die Grenze zwischen Irland und Nordirland wieder geschlossen werden. Und das will im Grunde keiner.
Doch wasbe deutete in harterBrexit für dieBür gerd es Königreiches? Etwa im Bereich Gesundheit: Experten warnen davor, dass sich als Folge eines harten Brexit Krankheiten schneller verbreiten könnten. Einerseits wegen schlechterer Kooperation mit EU-Behörden, andererseits, weil es schlicht an Medikamenten mangeln könnte. G es und heits minister Matt H an cockf orderte Ph arma unternehmen kürzlich dazu auf, die Medikamenten vorräte aufzustocken. Ab dem 30. März könnte es schwieriger werden, Medikamente nach Großbritannien einzuführen. Grenzkontrollen und Bürokratie würden Zeit kosten.
Eine wichtige Säule des Gesundheitssystems sind zudem EU-Ausländer, die auf der Insel als Ärzte oder Krankenpfleger arbeiten und noch nicht wissen, was mit ihren Aufenthalts-und Arbeitserlaubnissen passieren wird. Ministerpräsident in Theresa May hat den mehr als drei Millionen EU-Bürgern im Königreich versichert: „Selbst im Falle eines No-Deal werden eure Rechte geschützt. Wir wollen, dass ihr bleibt.“Festgeschrieben sind deren Rechte aber noch nicht.
„Ich habe Angst um meinen Aufenthaltsstatus in Portugal“, sagt Jason zum KURIER, ein Engländer, der ausgewandert ist, als der Brexit noch kein Thema war. Für Millionen andere britische Bürger, die im EU-Ausland leben, ist die Zukunft ebenfalls ungewiss. Wer in der EU mit dem Auto fahren will, kann das künftig nicht mehr mit britischem Führerschein. Man bräuchte eine internationale Fahrerlaubnis. Sie kostet 5,50 Pfund. Dass bisher noch weniger als 100 ausgestellt wurden, zeugt vom Optimismus der Insulaner, dass es doch noch zu einem Deal kommt.
Aber auch für Briten, die in Großbritannien leben, bleibt vieles ungewiss. Das Pfund könnte an Wert verlieren, wegen möglicher neuer Zölle könnten Preise zudem steigen, Jobs werden unsicher, reisen wird komplizierter: Die längere Schlange bei der Einreise in EU-Länder, weil sie keinen EU-Pass mehr haben, ist da nur ein kleineres Problem. Die Regierung weist darauf hin, dass man die PassVerlängerung „rechtzeitig“beantragen soll – auch hier kommt es zu Wartezeiten.
Wer in andere EU-Staaten reist, wird mit seinem Handy Ärger haben. Etwa könnten diejenigen Roaming-Gebühren zahlen müssen, die in der EU mit einer britischen SIM-Karte telefonieren – wobei die meisten Anbieter kein Roaming einführen wollen. Außerdem könnte es sein, dass das Netflix- oder Spotify-KontofürFilme, Serienbzw. Musik im Ausland nicht funktioniert. Denn das grenzenlose Unterhaltungsprogramm garantierte bisher eine EUVerordnung. Die fällt ohne Brexit-Deal wohl weg.