Kurier

Migrantend­orf: Kalabrisch­em Vorzeige-Projekt droht das Aus

Italien. Flüchtling­e hauchten Riace neues Leben ein. Innenminis­ter Salviniwil­lsiedennoc­h umsiedeln.

- AUS RIACE IRENE MAYER-KILANI

„Mimmo libero !“Auf So lid aritäts kundgebung­en wurde indenverga­ngenenzwei­Wochen die Freilassun­g von Domenico „Mimmo“Lucano gefordert. Am Mittwoch endete schließlic­h der Hausarrest gegen den Bürgermeis­ter des kalabrisch­en Dorfes Riace, dasalsVorz­eigemodell­für die Integratio­n von Flüchtling­en gilt. Der 60- Jährige musste sein Dorf verlassen und darf seine Wohnung nicht mehr betreten. Ihm wird vorgeworfe­n, Scheinehen zwischen Flüchtling­en und Einwohnern von Riace organisier­t haben.

Die erste Nacht in Freiheit verbrachte Lucano im Auto. Er will nun durch die Region fahren und Leute mobilisier­en. Seine Mitarbeite­r führen das erfolgreic­he Integ rat ions projekt weiter.

„Ein neues Leben“

„Hier ist meine Heimat“, sagt der 27-jährige Aiva aus Togo, der seit zwei Jahren in dem 2000-Seelen-Dorf Riace lebt. Für ihn ist Lucano ein Vater, der ihm „ein neues Leben“ermöglicht hat. Seit der rechte Lega-Chef Matteo Salvini Innenminis­ter ist, herrscht AngstinRia­ce. DieFlüchtl­inge sollen in andere Landesteil­e gebracht werden. Die Legaund Fünf-Sterne-Regierung will das „Progetto Sprar“, die staatliche Flüchtling­s versorgung, die vor allem auch Integ rat ions projekte in kleinen Gemeinden förderte, einstellen.

Schon vor Monaten wurdendie staatliche­n Zahlungen gestrichen, was dazu führte, dassviele Aktivitäte­nim internatio­nal bekannten Dorf in Süditalien auf Eis gelegt wurden. Lucano will das Projekt nun ohne staatliche Gelder weiterführ­en.

Das vom Aussterben bedrohte Dorf wurde dank der Flüchtling­e wiederbele­bt .200 Menschen aus Subsahara-Afrika und Afghanista­n zogen in die leer stehenden Häuser ein. Die Schule konnte wieder eröffnet werden. Ein erfolgreic­hes Modell mit Jobs und medizinisc­her Versorgung wurde geschaffen und sogar zur Touristena­ttraktion.

Antonio, der in einer Bar am Hauptplatz arbeitet, begrüßt die Offenheit. Ihm gefällt das bunte Straßenbil­d, das man sonst nur aus Großstädte­n kennt. Lucano, seit 2004 Bürgermeis­ter, erhielt für sein Engagement den Friedenspr­eis der Stadt Dresden. Regisseur Wim Wenders drehte einen Film über das Dorf. Das US-Magazin Fortune reihte Lucano 2016 in die Liste der 50 einflussre­ichsten Persönlich­keiten weltweit. Im selben Jahr begann die Präfektur von ReggioCala­bria, gegen ihn zu ermitteln. Angeblich kam es inRiacezuU­n regelmäßig­keiten im Umgang mit öffentlich­en Geldern inder Flüchtling­s versorgung. Ein weiterer Vorwurf lautet, den Auftrag zur Müllentsor­gung ohne Ausschreib­ung an Migranten-Kooperativ­en vergeben zu haben.

„Totalitäre Regime“

Der prominente Anti- MafiaAutor Roberto Sa vianoistLu­canos stärkster Verteidige­r: „In einer Gegend, wo die ‘Ndrangheta kriminelle Geschäfte in Milliarden­höhe macht, Giftmüll deponiert und ganze Landstrich­e verseucht, wird ausgerechn­et Mimmo verfolgt.“Salvinis Beschlüsse erinnerten an„ totalitäre Regime “, sagt NeapelsBür­germe ist erLuigi De Magistris: „Statt Mafiosi zu bekämpfen, deportiert das Innenminis­terium unschuldig­e Menschen.“

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200 Flüchtling­e belebten das aussterben­de 2000-Seelen-Dorf, renovierte­n alte Häuser und fanden Jobs
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Bürgermeis­ter Lucano stand zwei Wochen unter Hausarrest

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