Gesichter einer Auslöschung
Leopoldstadt. 31.000 Juden aus dem Bezirk wurden ermordet. Ihre letzten Adressen und Fotos sind jetzt online Schoah-Denkmal soll im Ostarrichipark entstehen
Es ist ein spezieller Spaziergang durch die Vergangenheit des zweiten Wiener Gemeindebezirks. Ein Gang durch eine Zeit, als die Nazis all jene Juden, die noch nicht geflohen oder untergetaucht waren, registrierten, sie in Sammelhäusern zusammenpferchten, um sie wenig später in die Konzentrationslager zu verfrachten. 31.000 Juden waren es allein in der Leopoldstadt. Doch hinter den Zahlen stehen Gesichter. Und Adressen.
Projektleiter und Historiker Wolfgang Schellenba- Finanzierung offen. Die Planung für ein Denkmal mit den Namen aller in der NSZeit ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden dauert seit Jahren. Jetzt wurde offenbar ein neuer Standort im neunten Bezirk gefunden, berichtet der ORF.
Einen ruhigen, aber dennoch zentralen Ort wünscht sich Initiator Kurt Tutter für sein Denkmal. Seine Wahl fielzunächstaufdenSchmerlingplatz neben dem Parlament. Das wollte die Stadt nicht, weil sie unter anderem um die Bäume dort fürchtet. Der ehemalige KulturstadtratAndreasMailath-Pokorny cher vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) hat sie den Opfern zurückgegeben.
Datenbank
WasmanfürdenSpaziergang braucht? EinnormalesSmartphone oder ein Tablet. Einen (SPÖ) brachte deshalb den Heldenplatz ins Spiel. Das wiederum lehnte Tutter ab.
Mittlerweile soll zumindest der Standort des Denkmals feststehen: Der Ostarrichipark gleich neben dem Alten AKH und der Nationalbank soll es werden. Offen ist allerdings weiterhin die Finanzierung. Die Hälfte der KostenvonknappfünfMillionen Euro will der Bund übernehmen. Die andere Hälfte wollen Tutter und seine Initiative anders auftreiben – zum Beispiel bei Großsponsoren und den Bundesländern. Ende des Jahres will man so weit sein. Straßennamen, eine Hausnummer oder einen Namen.
Beispiel Untere Donaustraße 39: Hier befanden sich Sammelwohnungen – Juden wurden hierher zwangsumgesiedelt. 36 Namen finden sich auf dieser Adresse. Darunter der von Rosa Geiringer, die in Auschwitz ums Leben kam oder der von Jakob Heftler, der in Theresienstadt starb – dazu ein Auszug aus der „Transportliste“. Noch auffälliger ist die Anzahl der Juden, die zuletztinderNovaragassegemeldet waren – insgesamt 247 Personen. „Sie haben das Haustor aufgerissen, an den Türen geläutet. Unten standen Autos, in die wurden die Leute verladen“, schilderte ein Überlebender. Ein anderer erinnert sich: „In dem Lager waren Matratzen, auf denen die Leute geschlafenhaben, bissieweggebracht worden sind.“
„Es war uns ein Anliegen, den Personen ein Bild zu geben“, sagt Schellenbacher. Fündig wurde man im eigenen Archiv, in den Karteien der Gestapo, dem Nationalarchiv in Prag, aber auch in Belgien.
Jüdisches Leben
Der zweite Bezirk sei „speziell“, sagter.„WegendergroßenAnzahljüdischerBewohner.“Das jüdische Leben spielte sich Im Werd, in der Leopoldsgasse und am Karmelitermarkt ab. In manchen Straßenzügen wohnten in jedem Haus Juden – etwa in der Rembrandtstraße. 185.000JudenlebtenimJahr 1938 in Wien. 66.500 wurden während des Holocaust ermordet.„ZweiDritteljener, die aus Wien deportiert wurden, lebtenzuletztinderLeopoldstadt“, sagtdieGrüneBezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger.
Deshalb sei das Projekt auch eine Mammutaufgabe gewesen. Und die ist noch nicht abgeschlossen. Wie bereitsimerstenBezirksollen auch noch weitere Nazi-Opfer in die OnlineKartei aufgenommen werden. Darunter politisch Verfolgte, Roma und Sinti und Homosexuelle.
Und: Das Projekt soll noch im kommenden November über weitere Bezirke ausgedehnt werden. Doch es wird wohl keine Stadt-weite Datenbank zustande kommen – denn um das Projekt zu finanzieren, müssen auch die Bezirke mitzahlen. EinBezirk, indem das bereits abgelehnt wurde, ist Döbling.