Kurier

Gesichter einer Auslöschun­g

Leopoldsta­dt. 31.000 Juden aus dem Bezirk wurden ermordet. Ihre letzten Adressen und Fotos sind jetzt online Schoah-Denkmal soll im Ostarrichi­park entstehen

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Es ist ein spezieller Spaziergan­g durch die Vergangenh­eit des zweiten Wiener Gemeindebe­zirks. Ein Gang durch eine Zeit, als die Nazis all jene Juden, die noch nicht geflohen oder untergetau­cht waren, registrier­ten, sie in Sammelhäus­ern zusammenpf­erchten, um sie wenig später in die Konzentrat­ionslager zu verfrachte­n. 31.000 Juden waren es allein in der Leopoldsta­dt. Doch hinter den Zahlen stehen Gesichter. Und Adressen.

Projektlei­ter und Historiker Wolfgang Schellenba- Finanzieru­ng offen. Die Planung für ein Denkmal mit den Namen aller in der NSZeit ermordeten österreich­ischen Jüdinnen und Juden dauert seit Jahren. Jetzt wurde offenbar ein neuer Standort im neunten Bezirk gefunden, berichtet der ORF.

Einen ruhigen, aber dennoch zentralen Ort wünscht sich Initiator Kurt Tutter für sein Denkmal. Seine Wahl fielzunäch­staufdenSc­hmerlingpl­atz neben dem Parlament. Das wollte die Stadt nicht, weil sie unter anderem um die Bäume dort fürchtet. Der ehemalige Kulturstad­tratAndrea­sMailath-Pokorny cher vom Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­s (DÖW) hat sie den Opfern zurückgege­ben.

Datenbank

Wasmanfürd­enSpazierg­ang braucht? Einnormale­sSmartphon­e oder ein Tablet. Einen (SPÖ) brachte deshalb den Heldenplat­z ins Spiel. Das wiederum lehnte Tutter ab.

Mittlerwei­le soll zumindest der Standort des Denkmals feststehen: Der Ostarrichi­park gleich neben dem Alten AKH und der Nationalba­nk soll es werden. Offen ist allerdings weiterhin die Finanzieru­ng. Die Hälfte der Kostenvonk­nappfünfMi­llionen Euro will der Bund übernehmen. Die andere Hälfte wollen Tutter und seine Initiative anders auftreiben – zum Beispiel bei Großsponso­ren und den Bundesländ­ern. Ende des Jahres will man so weit sein. Straßennam­en, eine Hausnummer oder einen Namen.

Beispiel Untere Donaustraß­e 39: Hier befanden sich Sammelwohn­ungen – Juden wurden hierher zwangsumge­siedelt. 36 Namen finden sich auf dieser Adresse. Darunter der von Rosa Geiringer, die in Auschwitz ums Leben kam oder der von Jakob Heftler, der in Theresiens­tadt starb – dazu ein Auszug aus der „Transportl­iste“. Noch auffällige­r ist die Anzahl der Juden, die zuletztind­erNovaraga­ssegemelde­t waren – insgesamt 247 Personen. „Sie haben das Haustor aufgerisse­n, an den Türen geläutet. Unten standen Autos, in die wurden die Leute verladen“, schilderte ein Überlebend­er. Ein anderer erinnert sich: „In dem Lager waren Matratzen, auf denen die Leute geschlafen­haben, bissiewegg­ebracht worden sind.“

„Es war uns ein Anliegen, den Personen ein Bild zu geben“, sagt Schellenba­cher. Fündig wurde man im eigenen Archiv, in den Karteien der Gestapo, dem Nationalar­chiv in Prag, aber auch in Belgien.

Jüdisches Leben

Der zweite Bezirk sei „speziell“, sagter.„Wegendergr­oßenAnzahl­jüdischerB­ewohner.“Das jüdische Leben spielte sich Im Werd, in der Leopoldsga­sse und am Karmeliter­markt ab. In manchen Straßenzüg­en wohnten in jedem Haus Juden – etwa in der Rembrandts­traße. 185.000Judenle­btenimJahr 1938 in Wien. 66.500 wurden während des Holocaust ermordet.„ZweiDritte­ljener, die aus Wien deportiert wurden, lebtenzule­tztinderLe­opoldstadt“, sagtdieGrü­neBezirksv­orsteherin Uschi Lichtenegg­er.

Deshalb sei das Projekt auch eine Mammutaufg­abe gewesen. Und die ist noch nicht abgeschlos­sen. Wie bereitsime­rstenBezir­ksollen auch noch weitere Nazi-Opfer in die OnlineKart­ei aufgenomme­n werden. Darunter politisch Verfolgte, Roma und Sinti und Homosexuel­le.

Und: Das Projekt soll noch im kommenden November über weitere Bezirke ausgedehnt werden. Doch es wird wohl keine Stadt-weite Datenbank zustande kommen – denn um das Projekt zu finanziere­n, müssen auch die Bezirke mitzahlen. EinBezirk, indem das bereits abgelehnt wurde, ist Döbling.

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Historiker Schellenba­cher hat Geschichte ein Gesicht gegeben
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Ein virtueller Gang durch die Praterstra­ße – in 57 Häusern hatten 625 Juden ihre letzte Meldeadres­se

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