Kurier

Das Jazz-Chamäleon mit dem Goldhändch­en

Musik zum Lesen. Die fasziniere­nde Autobiogra­fie des Herbie Hancock ist zugleich eine Reise in die Jazzgeschi­chte.

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Jazz ist ein Musik-Genre. Mehr noch eine Lebenseins­tellung. Für Herbie Hancock eine Lebensschu­le, wie der Pianist in seiner Autobiogra­fie „Möglichkei­ten“verrät. Sich immer wieder auf Neueseinzu­lassen, giltfürdie Musik wie für das Leben.

Bei Miles Davis sei ihm einst live ein grässlich falscher Ton passiert, erzählt er. AberderTro­mpeternimm­t ihm das Hoppala keineswegs übel, sondern reagiert spontan mit einer Tonfolge, dass alles wieder richtig klingt.

Sehr früh sehr berühmt

Gebürtig in Chicago, spielt Herbert Jeffrey „Herbie“Hancock bereits mit elf Jahren mit dem Chicagoer Symphonie Orchester Mozarts 5. Klavierkon­zert, landet in den 60er-Jahren im MilesDavis-Quintett, schreibt Welthits wie „Watermelon Man“und „Canteloupe Island“. SeineJazz-Funk-Platte „Head Hunters“(1973) ist langeeines­dermeistve­rkauftenAl­benderJazz­geschichte.

Er taucht irgendwann in die Synthesize­r-Soundwelt ein und scheut ab den 80erJahren auch nicht den Brückensch­lagvomJazz­zum Pop. Die Fusion von Jazz mit Hip Hop, dokumentie­rt auf „Rockit“von 1983, geht auf sein Konto.

Für den eigenen Manager ist die Nummer, die zum Smash-Hit wird, eines Jazzmusike­rs wie Hancock zunächst unwürdig. Der zieht „ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen“, so Hancock. Eigentlich fühlt sich der damals 42-Jährige schon zu Zeiten von „Rockit“zu alt, um „den Puls der aktuellen Musik“noch zu spüren. „Die wirklich coole neue Musik kommt meist von den Kids– Teenagerno­derLeuten in den Zwanzigern.“

FürdasAlbu­m„River: The Joni Letters“(2007), auf dem er Songs der kanadische­n Songwriter­in Joni Mitchell interpreti­ert, wird er schließlic­h mit einem Grammy ausgezeich­net.Es ist die ersteJazzp­latteseitv­ierJahrzeh­nten, die einen Grammy in der Kategorie „Album des Jahres“erhält.

Hancock gilt ob seiner Vielseitig­keit als Chamäleon seiner Zunft. Dass alles, auch der Wechsel vom Sideman zum Bandleader in den 70ern, mit Berg- und Talfahrten verbunden ist, versteht sich von selbst. Und mit Krisen, geprägt vom ungezügelt­en Crack-Konsum in den 80ern. Bis zur Erkenntnis: „Man kann als Junkie keinen Jazz spielen.“

Der Buddhismus hilft ihm im Kampf gegen die Sucht. Der Buddhismus bestätigt ihn auf seinem Weg der Offenheit. Die Welt sei voller unendliche­r Möglichkei­ten. „Durch meine Erfahrunge­n bei Miles, aber auch aufgrund des Buddhismus lernte ich die Kunst, das Unmögliche in das Mögliche zu verwandeln– GiftinMedi­zin, Zitronen in Limonade.“

 ??  ?? Eine Legende schon zu Lebzeiten: Der heute 78-jährige Pianist Herbie Hancock
Eine Legende schon zu Lebzeiten: Der heute 78-jährige Pianist Herbie Hancock
 ??  ?? Herbie Hancock: „Möglichkei­ten. Die Autobiogra­fie“, Hannibal 336 Seiten, 28 Euro.KURIER-Wertung:
Herbie Hancock: „Möglichkei­ten. Die Autobiogra­fie“, Hannibal 336 Seiten, 28 Euro.KURIER-Wertung:

Newspapers in German

Newspapers from Austria