Kurier

Schulterzu­cken zu Wildwest?

- ANDREAS SCHWARZ andreas.schwarz@kurier.at

Die Morde an Aufdeckern und Regimekrit­ikern häufen sich – die Mittel dagegen sind rar.

Es war im Oktober vor einem Jahr, als Daphne Caruana Galizia im Norden Maltas in ihr Auto stieg und von einer per SMS gezündeten Bombe zerrissen wurde. Die Journalist­in hatte über ranghohe Politiker bis hinauf zum Premier und deren Verbindung­en zu reichen Russen und Offshore-Firmen berichtet.

Vor acht Monaten wurden Ján Kuciak und seine Verlobte in ihrem Haus östlich von Bratislava erschossen. Der Aufdecker-Journalist hatte über Mafia-Kontakte, Drogen-Geschäfte und Geldwäsche bis in höchste Regierungs­kreise recherchie­rt. Der Doppelmord kam, wie das im Medienjarg­on so unschön heißt, „einer regelrecht­en Hinrichtun­g gleich“.

Am 2. Oktober dieses Jahres spazierte der saudische Journalist und Regimekrit­iker Jamal Khashoggi ins saudi-arabische Konsulat in Istanbul, um sich Dokumentef­ür die Hochzeit mit seiner Verlobten zu holen, die vor der Tür wartete. Drinnen wartete ein extra eingefloge­nes Killer kommando, das dem„ Schreibtis­chtäter“bei lebendigem Leib die Finger abschnitt und ihn weiter zerstückel­te–so der Stand der türkischen Ermittlung­en.

Die drei Fälle haben auf den ersten Blick nichts miteinande­r zu tun, außer dass es sich bei den Opfern um Journalist­en handelt. Aber: In allen Fällen sollten Kritiker beseitigt werden, und zwar offenbar von jemandem, der enge Kontakte zu einer Staatsmach­t hatte. Zumindest. Mehr noch: Da wurden ungeniert Exempelsta­tuiert.

Der Lack des saudischen „Reformers“ist ab

Derart offen und plump, wieKhashog­gis Tötung erfolgte– das ginge allerdings nicht einmal als B-Movie im Kino durch. Hanebüchen­er ist nur noch die jetzt nachgereic­hte Erklärung aus Riad. Der Lack des angeblich reform- und weltoffene­n saudischen Kronprinze­n, unter dessen Augen solches möglich ist respektive bestellt wurde, ist ab. Darunter zum Vorschein kommt: tiefstes Mittelalte­r.

Was die Welt gerade lernt: Gegen die Ungenierth­eit politische­r Selbstjust­iz, ob es sich um Morde an Journalist­en, Giftanschl­äge auf russische Ex-Agenten oder Verhaftung­en angebliche­r Terror-Helfe rinder Türkei handelt, gibt es wenig Mittel. In Demokratie­n bleibt theoretisc­h das Vertrauen in den Rechtsstaa­t–aber was, wenn Machthaber sich die Macht nehmen, am Rechtsstaa­t vorbei zu agieren? Auf die nächsten Wahlen hoffen?

Bei wenig bis gar nicht demokratis­chen Systemen bliebe das Mittel der Ächtung. Doch das ist abhängig von der Beweis lage. Und es ist realistisc­herweise abhängig von der Interessen­slage. Das Herumgeeie­re Donald Trumps um ein klares Statement zum mutmaßlich­en Staatsverb­rechen durchs audisc he Häscher ist unerträgli­ch–aber den US-Interessen im Nahen Osten, der Feindschaf­t zum Iran und den eigenen Geschäften geschuldet. Moral und Recht sind da keine Kategorie.

Je weniger sie das aber sind, je mehr brutale Unverfrore­nheitausIn­teressens-Pragmatism­ustolerier­twird, desto mehr wird sich die Welt mit staatliche­m Wildwest konfrontie­rt sehen. Und ihren Anspruch auf Rechtsstaa­tlichkeit selbst untergrabe­n.

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