Der Ruf nach dem starken Mann wird leiser
Umfrage. Österreicher vertrauen demokratischen Institutionen: Linke sehen im Parlament ein wichtiges Korrektiv
man von Zu wanderern erwartet. Dass heute mehr Österreicher bereit sind, Migranten als Mitbürger zu akzeptieren, hatauchdamitzu tun, dass ohne sie das Land still stehen würde: Pflege, Soziales, Gastronomie – hier geht ohne Zuwanderer fast nichts mehr. „Das ist einBild, dasangekommenist“, stellt Aichholzer fest. Wohl ein Grund, warum Zuwanderer immer weniger als Gastarbeiter gesehen werden, die auf Zeit hier wohnen, sondern das Rechthaben, zubleiben– auchwenn Arbeitsplätze knapp werden.
Überhaupt werden Menschen, die der Gesellschaft „auf der Tasche liegen“heute eher schief angeschaut. Sylvia Kritzinger drückt das so aus: „Wer keinen ökonomischen Beitrag zur Gesellschaft leistet, wird weniger akzeptiert.“Drogenabhängige und Alkoholiker will fast niemand in seiner Umgebung haben. Den gegenteiligen Trend gibt es bei Homosexuellen: „Vor 30 Jahren wollten 42 Prozent der Österreicher diesen ich tals Nachbarn haben, he utes indes 13 Prozent .“Da ist das Land liberaler geworden.
Info: Lesen Sie am Sonntag, 28. Oktober, wie die Österreicher über die Ehe denken und was ihnen im Beruf besonders wichtig ist. So glücklich waren die Österreicher noch nie: 71 Prozent sind mit ihrem Leben zufrieden. Ein Leben, das sich vor allem um Freizeit, Familie und Freunde dreht (Grafik rechts ). Politik scheint hingegen keinen großen Stellenwert in ihrem Alltag zu spielen. Stehen wir jetzt also vor einer neuen Zeit des Bieder meier? Ziehen sich die Österreicher ins Private zurück und überlassen die Politik Institutionen wie Parteien oder Gewerkschaften?
Für Sylvia Kritzinger, Leiterin der Europäischen Werte studie E VS 2018 (Kasten links) lässt sich diese Frage nicht so leicht beantworten. „Auch wenn Politik jetzt nicht die zentrale Rolle im Leben der Menschen spielt, so sagen doch immerhin 60 Prozent, dass sie sich grundsätzlich dafür interessieren. Wir müssen nicht besorgt sein, dass die Politik ad acta gelegt wird.“
Beiden Nationalrats wahlen 2017 sind sogar wieder mehr an die Urne gegangen–Ältere häufiger als Junge. „Für Ältere ist Wählen eher Bürgerpflicht “, mutmaßt die Wissenschaftlerin. Jüngeres eien oft damit beschäftigt, ihr Leben aufzubauen :„ Beruf und Familiengründung stehen da im Fokus .“
Mehr als Wahlen
Außerdem besteht Politik ja auch nicht nur aus Wahlen. „Die vergangenen Volksentscheide haben gezeigt, wie groß das Interesse an bestimmten Themen ist. Und das Internet bietet neue Möglichkeiten, sich zu engagieren, etwa mittels Online-Petitionen.“Politik ist also kein Auslaufmodell.
Und wie beeinflusst die nicht mehr ganz so neue türkis-blaue Regierung das politische Klima im Land? „Vor der Wahl war die Unzu- frieden heit im rechten Lager sicher größer.“Das habe sich jetzt doch sehr geändert.
Wer ideologisch eher Mitte oder links steht, der scheint derzeit auch nicht so ganz unglücklich. Er vertraut weniger der Regierung, dafür umso mehr Institutionen wie den Gewerkschaften oder dem Parlament, die er als Gegengewicht sieht. Das sei durchaus ein gutes Zeichen, wieKritz ing erfindet :„ Die Menschen haben das Bild: Die demokratischen Institutionen funktionieren.“
Wasnochauffällt: DerRufnach einem starken Mann wird weniger. 2008 – im Jahr der Bankenkrise sowie einer Nationalratswahl – und auch noch 2017 hielt jeder Vierte einen „der auf den Tisch haut“für eine gute Sache. Jetzt sind es „nur“noch16Prozent. Kritzinger, dieam Institut für Staatswissenschaften der Universität Wien lehrt, hat dafür eine Erklärung: „Die Unzufriedenheit mit der Großen Koalition war sehr groß. Viele hatten den Eindruck, dass nichts weitergeht – auch wenn das nicht unbedingt so gewesen sein muss. Jetzt gibt es eine ,frische Regierung’, die vielen Wählern vermittelt, dass etwas weitergeht.“
Doch es gibt eben nicht nur Befürworter der neuen Regierung. Viele haben Angst, dass die Gesellschaft auseinander driftet und sich in unversöhnlichen Lager gegenüberstehen. Gibt es da ein Thema, auf das sich alle einigen können? Einen gemeinsamen Nenner kann Kritzinge raus machen :„ Die Demokratie wird einheitlich als die beste Regierungsform für das Land gesehen.“Auch wenn es bei der Frage, was Demokratie heißt, natürlich unterschiedliche Ansichten gibt.