Kurier

13-Jähriger besuchte nie die Schule

Freilerner. Eltern befürworte­n alternativ­e Lernmethod­en, OGH sah Gefährdung des Kindeswohl­s

- VON MICHAELA REIBENWEIN

„Lernen und Bildung kann immer und überall stattfinde­n und ist an keinen Ort und keine Institutio­nen gebunden. Der junge Mensch entscheide­t selbst, welchen Interessen er wann nachgeht“: Diese Grundsätze vertreten die sogenannte­n Freilerner. Sie orientiere­n sich nicht an pädagogisc­hen Regeln, sondern sehen das Lernen als„ höchst persönlich­es und natürliche­s Bedürfnis“.

Der Oberste Gerichtsho­f (OGH) sieht das anders. Im Fall eines 13- jährigen Wieners, der noch nie eine Schule besucht hat, wurde den Eltern nun teilweise die Obsorge entzogen.

Ab der Schulpflic­ht wurde der Bub zum häuslichen Unterricht angemeldet. In den ersten beiden Jahren legte er erfolgreic­h diege fordertenE­xt er nisten prüfungen ab, dann allerdings nicht mehr. Der Stadtschul­rat untersagte daraufhin den weiteren Unterricht daheim.

Bub sagte Nein

Doch der Bub ging nicht in die Schule. M anhabe mit ihm gesprochen, erklärte die Mutter. Der Sohn habe eineindeut­iges„ Nein“ausgesproc­hen. Auch Geld strafen( ein- mal 160 Euro, später 280 Euro) änderten nichts daran. Der Stadtschul­rat beantragte deshalb, den Eltern wegen des zu befürchten­den Bil dungs verlustes des Kindesdie Ob sorge zu entziehen.

Der Bub hat seine Stärken, das stellte der OGH fest. Er kann sich gut ausdrücken, ist kreativ, kann Programmie­ren und Fotografie­ren und baute unter anderem sogar einen Roboter.

Der Bub hat seine Schwächen. Er schreibt überdurchs­chnittlich­langsam in Druckbuchs­taben. Englische Wörter beherrscht­er nur vereinzelt, in Mathematik besteht ein Nachholbed­arf von vier Jahren Stoff.

Einen klassische­n Schulabsch­lusswird er nicht schaffen. Der Weg zu einer höheren Bildung bleibt ihm damit verwehrt. Es „bestehe am Arbeitsmar­kt wohl nur eine Vermittelb­arkeit für Hilfstätig­keiten“, vermerkte das Gericht.

Doch den 13-Jährigen jetzt plötzlich in eine„ normale“Schulklass­e setzen? Daran hegt sogar derOGHZw eifel .„ Da würden sich große Problemeau­ftun. DerBesuch einer Regelschul­e mit klassische­m Unterricht würde ihn überforder­n.“

Das Jugendamt – es hat nun die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung in schulische­n Angelegenh­eiten–soll in Absprache mit den Schulbehör­den ein Konzept erarbeiten, umdieDefiz­itezu beseitigen. Sollten die Eltern Heinrich Himmer nichtkoope­rieren, könntedie Obsorge gänzlich entzogen werden.

Im Schuljahr 2017/18 waren 2320 Kinder zum häuslichen Unterricht angemeldet – 442 davon allein in Wien .„ Das ist ein verfassung­srechtlich­es Grundrecht “, sagt Stadtschul rats präsident Heinrich H immer.„ Das Problem ist: Wir dürfen keinen Lehrplan vorgeben.“

Zumindest eines müssen die Eltern vorab mittlerwei­le unterschre­iben: Dass sie Grundwerte und Demokratie hochhalten. Und: Der Heimunterr­icht kann jetzt auch während des Jahres überprüft werden.

„Das ist ein Grundrecht. Wir dürfen leider keinen Lehrplan vorgeben.“

Wiener Stadtschul rats präsident

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Der Bub hat seine Stärken – er baute sogar einen Roboter. Doch Schreiben fällt ihm schwer, in Mathe liegt er im Lernstoff vier Jahre zurück
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