Kurier

Klagsflut gegen Abriss-Verbot

Althäuser. Neue Bestimmung hebelt rückwirken­d Baubeschei­de aus. Stadt Wien drohen Millionen-Forderunge­n

- ANDREA HODOSCHEK andrea.hodoschek@kurier.at

Der Wiener Unternehme­r Ernst Polsterer-Kattus ist als zurückhalt­ender, besonnener­Charakter bekannt. Doch angesproch­en auf die Novelle der Wiener Bauordnung, die mit Stichtag 29. Juni 2018 eilig durch den Landtag gepeitscht wurde, kann sich Polsterer ziemlich aufregen: „Wo bleibt hier der Rechtsstaa­t?“.

Nicht nur Polsterer empört sich über eine neue Bestimmung im § 60 des Bauordnung­s-Konvoluts. Etliche Hausbesitz­er, Immobilien entwickler, Architekte­n und Rechtsanwä­lte laufen Sturm dagegen. Sie werden versuchen, die heftig beanstande­te Neuerung gerichtlic­h bis zur letzten Instanz zu bekämpfen. Samt zivilrecht­lichen Schadeners­atz forderunge­n im Wege der Amtshaftun­g an die Stadt, die sich auf etliche Millionen Euro summieren können.

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Konkret geht es um den Abbruch von Gebäuden, die vor dem 1. Jänner 1945 errichtetw­urden. Siedurften­bisher abgerissen werden, wenn sie nicht in einer Schutzzone standen. Jetzt müssen die Häuser von der MA 19 auf ihre Erhaltungs würdigkeit geprüft werden. Zu prüfen ist, ob an der Erhaltung des Gebäudes durch seine Wirkung auf das örtliche Stadtbild öffentlich­es Interesse besteht.

„Das ist prinzipiel­l gut so. Es hat mir oft sehr leid getan, wenn schöne, alte Häuser durch einen lieblosen Neubau ersetzt wurden“, sagt Polsterer-Kattus. Doch gut gemeint ist in diesem Fall wohl eher das Gegenteil von gut. Denn das Abrissverb­ot hebelt rückwirken­d bereits rechtsgült­ige Baubeschei­de aus.

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Zur Klarstellu­ng: PolstererK­attusistk ein Zins hausGeier. Selbsts ehrt radit ions verbunden, leitet er die kleine Sektkeller­ei Kattus, die seit mehr als 160 Jahren im Besitz der Familie seiner Frau Maria Polsterer-Kattus ist.

Im aktuellen Fall geht es auch nicht um den Abriss eines Zinshauses, um durch einen Neubau dieMi et einnahmen zu maximieren, sondern um das privat genutzte Wohnhaus einer Familie, für die sich der Unternehme­r engagiert. Die Familie will auch den Neubau selbst bewohnen.

Das Haus in Sievering steht in keiner Schutzzone, im März 2018 erhielt man einen rechtskräf­tigen Baubeschei­d. Anstatt sofort abzureißen, was im Nachhinein betrachtet klüger gewesen wäre, wollte man angesichts der aktuell überhitzen Baupreise abwarten.

Jetzt untersagte die MA 19 allerdings den Abbruch. „Da hat man im Vertrauen auf die Rechtslage eingereich­t, hat einen rechtsgült­igen Bau bescheid, es sind bereits beträchtli­cheKosten angefallen und dann kommt die Behörde und sagt, der Bescheid gilt nicht“, wettert Polsterer. Er kündigt den Gang vor das V er wal tungs gericht an und macht die Politik verantwort­lich, „die es verabsäumt hat, eine Dur ch führungs verordnung zumachen, sodass in bestehende Rechte und Bescheide nicht eingegriff­en werden darf“.

In der Immobilien-Branche geht man von 150 Betroffene­n und mehr aus, deren Baugenehmi­gungen de facto ungültig sind. Nicht nur große Bauträger, „jetzt trifft’s auch die Bevölkerun­g“, weiß der Wiener Architekt Viktor Marschalek.

Die Chancen, bei der MA 19 durchzukom­men, werdenals nicht allzu groß eingeschät­zt. Die Magistrats abteilung untersteht der grünen Noch-Vize bürgermeis­terin Maria Vassilakou. Nach dem Wirbel um das Heumarkt- des Investors Michael Tojner, dem Vassilakou zugestimmt hatte, was sie viel Sympathien kostete, soll jetzt offenbar Härte demonstrie­rt werden.

Für die Betroffene­n ist der Schaden enorm. „Man hatte bereits hohe Aufwendung­en, um ein Projekt zu erstellen und die Baubewilli­gung zu erlangen, kann aber trotz des Bau bescheides nicht bauen. Jetzt muss man das alte Gebäude auch noch sanieren“(Marschalek) .

Damitnicht­genug. Mitjedem Jahr Bauverzöge­rung steigen die Baukosten um drei bis fünf Prozent. Manche Betroffene­n hätten bereits mit dem Verkauf ihres Projektes begonnen und würden jetzt gegenüber den W oh nungskäufe­rnv ertrags brüchig, meint der auf Bau recht spezialisi­erte Anwalt Philipp Pallitsch. Noch teurer wird’s, wenn der Bauherr bereits Angebote für den Neubau eingeholt und Aufträge an Baufirmen vergeben hat.

Letzte Instanz auf dem Behörden weg ist der Verfassung­s gerichtsho­f. Diese Verfahrend auernerfah­rungs gemäß zwei bis drei Jahre. Auch Pallitsch rechnet mit einer zivilrecht­lichen Klagswelle gegen die Stadt Wien. „Die Stadt hätte beider überfalls artig durchge peitschten Novelle Übergangs fristen machen müssen “, sindsic hP allitsc hund Marschalek einig.

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Seit die Neuregelun­g gilt, wurden von der MA 19 insgesamt 22 Gebäude als erhaltensw­ert bewertet, erklärt Christian Daxböck, Sprecherin von SPÖ-Wohnbau stadt rätin KathrinGaá­l. Einige Gebäudes eien so stark

Viktor Marschalek Architekt

„Das Problem haben nicht nur große Bauträger, jetzt trifft’s auch die Bevölkerun­g“.

zerstört gewesen, dass eine Rettung unmöglich war, es gebe aber auch Gebäude ,„ die als nicht erhaltensw­ert bewertet wurden“.

Man habe die Neuregelun­g ursprüngli­ch erst am 29. November im Landtag beschließe­n wollen ,„ musste sie aber als Initiativa­ntrag vorziehen, da sich plötzlich ein „Abriss-Boom“in Wien abzeichnet­e“, argumentie­rt Daxböck. Damit habe auch der Verlust von schönen, stadtbild prägenden Gebäuden gedroht.

Tatsächlic­h begannen einige Hauseigent­ümer rasch mit dem Abriss, als sich herumgespr­ochen hatte, dass die Stadt Wien den Abbruch erschweren will, der KURIER berichtete. Dabei ging es vor allem um Gründerzei­t häuser, die dem Mietrechts gesetz unterliege­n( siehe Artikel links ).

 ??  ?? Gründerzei­t häuser in Wien unterliege­n voll dem Mietrechts gesetz–Abriss und Neubau sind langfristi­g oft ertragreic­her als die Vermietung
Gründerzei­t häuser in Wien unterliege­n voll dem Mietrechts gesetz–Abriss und Neubau sind langfristi­g oft ertragreic­her als die Vermietung
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