Keine Angst vor der ANOST
Psyche in Aufruhr. Angst ist ein Urgefühl, das der Mensch zum Überleben braucht. Doch wenn sie das Kommando übernimmt, macht sie krank. Ein neues Buch beschäftigt sich mit allen Facetten der Angst – und zeigt Auswege.
Sorge. Furcht. Schrecken. Angsthat viele Gesichter, kommt in allen Altersgruppen, bei Frauen und Männern gleichermaßen vor – überall auf der Welt. Angst kann mächtig sein. Manchmal betrifft sie nicht nur das Individuum, sondern eine ganze Gesellschaft. Aktuell fürchten sich Menschen kollektiv vor Atomkrieg, Klimawandel oder Zuwanderung. Angst macht auch nicht Halt vor Status und Ansehen. Viele bedeutende Menschen – von Politikern bis zu Schauspielern – litten bzw. leiden an Angststörungen oder Phobien. Sigmund Freud bezeichnete Angst als „Knotenpunkt der Seele“. Doch der Mensch hat sie auch, um sich weiterzuentwickeln. Mut hat jemand nur, wenn er zuvor erfahrenhat, wiesichAngstanfühlt. Mit dem Wesen und der Funktion der Angst beschäftigen sich Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, und Autor Michael HorowitzineinemneuenBuch. Der KURIER traf sie zum Gespräch.
KURIER: Ihr erstes gemeinsames Buch haben Sie dem „weiten Land der Seele“gewidmet. Warum jetzt „Angst“? Michael Horowitz: Weil die Angst in unserer Gesellschaft derzeit virulent ist. In Bonn wurde soeben im Haus der Geschichte eine große Ausstellung eröffnet, ihr Titel lautet „Angst. Eine deutsche Gefühls lage ?“Es geht um die Angst vor Atomkrieg, Umweltzerstörung oder die Zuwanderung. Ängste betreffen sowohl einzelne Menschen als auch die gesamte Gesellschaft, sie sind ein omnipräsentes Phänomen.
Ist das durch Zahlen belegt? Georg Psota: Da müssen wir zwischen einem allgemeinen Angstlevel in der Bevölkerung und Angsterkrankungen unterscheiden. Kollektive Angst, als soziologisches Phänomen, nimmt zu, Wenn wir über Angsterkrankungen sprechen, reden wir von 12 bis 15 Prozent der Bevölkerung, die davon betroffen sind – pro Jahr. Jeder siebte leidet im Laufe seines Lebens an einer Angsterkrankung, innerhalb eines Jahres.
Angst ist per se aber nichts Schlechtes? Horowitz: SieisteinUrgefühl, dasder Mensch zum Überleben braucht. Ich zitiere ErichKästner:„W er keine Angst hat, hat keine Fantasie“. Angst kann uns in bestimmten Situationen das Leben retten und fungiert als Warnsignal. Aber wenn die Angst mit massiven Schwierigkeiten verbunden ist, kann sie sich zu einer Krankheit entwickeln, die schwächt, belastet und Existenzen gefährden kann.
Psychische Erkrankungen werden leider immer noch tabuisiert ... Horowitz: Angst wird oft als Zeichen der Schwäche betrachtet. Aber wir brauchen keine Angst vor der Angst zu haben. Vielmehr geht es darum, sie zu erkennen, zu verstehen und schließlich zu behandeln.
Wirkt das gesellschaftliche Klima als Auslöser für Angsterkrankungen? Psota: Angsterkrankungen können von einem Klima der Verunsicherung gefördert werden, vor allem, wenn es große soziale Schwierigkeitengibt. WennesalsoandieExistenz geht – etwa wenn jemand den Job verliert. Das ist eine adäquate Angst, aus der in Folge eine Angsterkrankung entstehen kann.
Angst lässt sich gut als Instrument einsetzen…
Psota: Siegesgeheul und Angstgeschrei – das sind jene Gefühlslagen, die sich am besten instrumentalisieren lassen. Beide sind sehr archaisch, haben also mit den älteren Gehirnstrukturen des Menschen zu tun. Es ist also eine reine Stammhirn geschichte. Das Stammhirn ist immer nahe beim Stammtisch. Mit der Angst der Menschen zu spielen, ist ein altes Metier. Horowitz: DazukommenglobaleDesaster, fürdieesfastkeineLösungen mehr gibt. Man hört fast täglich von irgendeiner extremen Naturkatastrophe. Diese dramatische Umweltsituation erzeugt ebenfalls Ängste.
Ist Angst ansteckend?
Psota: Angst kann akut und chronisch ansteckend sein. Sie ist ein gesellschaftliches Gruppenphänomen. Deshalb haben Medien eine sehrgroßeVerantwortung. Siekönnen Angst machen und verbreiten.
Was unterscheidet Angst von der Angsterkrankung?
Psota: Die Qualität. Bei Angsterkrankungen wird man von der Angst beherrscht. Es gibt keine adäquateRedaktiondarauf, dasistmit einer Reihe von Symptomen verbunden. Wie merkt jemand, dass er eine Angststörung entwickelt?
Psota: Kommtdaraufan. DiePanikattacke, die akute Angst, kommt plötzlich, in einer bestimmten Situation. Horowitz: Sie kommt über einen Menschen, wie ein Ungetüm, das sich auf dessen Schultern setzt. Diese Angst ist von einem Moment auf den anderen da.
Psota: Bei plötzlichen Ängsten gibt es noch weitere Varianten, die sich entwickeln und manifestieren können. Wir reden dann von Phobien. Sie können sich auf Menschen, Dinge oder Situationen beziehen, denken Sie an Spinnenphobie. Sie ist sehr häufig.
Wie hängen Angststörungen mit Depressionen zusammen?
Psota: Eng. Es sind psychodynamische und neurobiologische Ge-