REPORTAGE
Genau vor hundert Jahren, Ende Oktober 1918, wirdesinderaltenKaiserstadt richtig eng: Selbst die BetuchtenmüsseninihrenVillenin Hietzing und Döbling näher aneinander rücken. „Es gibt keine Kohlen mehr“, sagt der Historiker Edgard Haider. „Daher kannnurmehreineinzigesZimmer geheizt werden.“In seinem Buch „Wien 1918“beleuchtet Haider facettenreich den Alltag der notleidenden Wiener Bevölkerung im letzten Kriegsjahr.
Schon seit April 1915 sind die Grundnahrungsmittel streng rationiert. Auch wenige Tage vor Kriegsende stehen die Menschen bereits Stunden vor Öffnung der Markthallen Wiens um 7 Uhr an. Zeitgenossen beklagen, dass dasBrotzerfällt, weiles zu 70 Prozent aus Mais besteht. Das gedörrte Gemüse wird durch stundenlanges Kochen nicht weich, es wird im Volksmund „Stacheldraht“genannt.
Selbst im Rathauskeller gibt es statt der beliebten Würstel mit Saft gekochten Kukuruz im Saft. Und die Kaffeehäuser dürfen keine Melange mehr servieren. „Weil die Milch für die Kinder benötigt wird“, erläutert Haider.
„Stacheldraht“im Mund
Die Kinder leiden am meisten. Viele sind lebensbedrohlich unterernährt. Den Historiker haben die Schwarz-Weiß-Fotos von damals schockiert: „Sie zeigenbisaufdieKnochenabgemagerte kleine Körper. Das sind Bilder wie wir sie sonst nur vom Äquator kennen.“
In den hoffnungslos überbelegten und großflächig verwanzten Gründerzeit-Wohnungen innerhalb und vor allem außerhalb des Gürtels herr-