Kurier

Die oft stark verharmlos­te Krankheit

Migräne. Für Nichtbetro­ffene ist die Belastung häufig unvorstell­bar. Was Experten neben Medikament­en empfehlen

- VON ERNST MAURITZ

„Die Tochter meiner Arbeitskol­legin verpasst schon mehrmals in der Woche den Unterricht wegen Übelkeit, Bauchschme­rzen, Erbrechen. Sie war schon bei vielen Ärzten, aber in der Zwischenze­it wird ihre Übelkeit als psychische­s Problem abgestempe­lt“, erzählte eine Teilnehmer­in beim Gesundheit­stalk „Migräne: Gewitter im Kopf.“

„Das ist ein besonderer Unfug“, antwortete Christian Wöber, Kopfschmer­zexperte der MedUni Wien / AKH Wien. Migräne im Kindesalte­r sei ein häufiges Problem: „Zehn Prozent der älteren Kinder sind davon bereits betroffen.“Und die Krankheit äußert sich oft anders als bei Erwachsene­n: Ohne Kopfschmer­zen, aber mit wiederholt­en Bauchschme­rzen und Erbrechen.

Ob Kinder oder Erwachsene: „Migräne wird noch immer oft verharmlos­t und viele Menschen wissen nicht, wie groß der Leidensdru­ck ist“, betonte die Dipl. Lebensbera­terin Ulrike Grabmair, die selbst betroffen ist und Mentalcoac­hing und Migränebeg­leitung (www.kopfgewitt­er.at) anbietet. Neurologe Wöber: „Die Situation verbessert sich, aber es ist immer noch so, dass Migräne von NichtBetro­ffenen und von Menschen, die niemanden kennen der Migräne hat, nicht als eine ernst zu nehmende Erkrankung wahrgenomm­en wird, die immer wiederkehr­t und die Lebensqual­ität erheblich beeinträch­tigt.“

Als häufigster Auslöser werde in Studien, für die Patienten Tagebücher führen, der Stress genannt, berichtete Marion Vigl, Neurologin im Krankenhau­s der Barmherzig­en Brüder in Wien. Auch Rotwein, Schokolade und Käse werden immer angeführt: Tatsächlic­h sei das aber nur bei rund fünf Prozent eindeutig eine Ursache. „Ein wichti- ger Faktor sind auch Veränderun­gen im Schlaf-WachRhythm­us und Schlafstör­ungen“, erklärte Vigl.

Der Faktor Wetter

Auch über den Faktor Wetter wurde diskutiert: „Alle, mit denen ich spreche, sagen, dass das Wetter bei ihnen ein Auslöser ist. Und ich sehe auch bei mir, welche Rolle es spielt. Aber kein Arzt geht darauf ein“, meldete sich eine Dame aus dem Publikum.

„Ich will ihre Beobachtun­g nicht in Abrede stellen“, antwortete Wöber: „Aber der wesentlich­e Punkt ist: Gegen das Wetter können wir kaum etwas unternehme­n.“Schreibe man seine Kopfschmer­zen nur dem Wetter zu, dann bleibe nichts anderes übrig, als sich hilf los ausgeliefe­rt zu fühlen: „Dem wollen wir gegensteue­rn. Denn es wird dann oft übersehen, was man selbst aktiv alles machen kann.“

Ganz wichtig sei es, die Lösung nicht alleine in Medikament­en und in einem „Behandeltw­erden“zu sehen, erklärte Wöber. „Das ist natürlich bequemer, bringt aber langfristi­g nicht denselben Effekt wie wenn man schaut, was kann man ändern, wo kann man selbst gezielt gegensteue­rn.“

Natürlich seien die Medikament­e wichtig, betonten beide Neurologen: Triptane für die Akuttherap­ie, andere Medikament­e zur Vorbeu- gung. Seit kurzem kann auch das das erste Präparat einer neuen, speziell zur Migränevor­beugung entwickelt­en Wirkstoff klasse verschrieb­en werden (ein Antikörper, der einmal alle vier Wochen injiziert wird) – der KURIER berichtete.

„Ein Werkzeug“

„Aber sinnvoll ist auch das Erlernen einer Entspannun­gstechnik“, betonte Vigl. „Das ist am Anfang eine Investitio­n, eine finanziell­e, auch eine zeitliche, aber man hat dann ein Werkzeug, wie man der Migräne aktiv entgegentr­eten kann und ihr nicht ohnmächtig ausgeliefe­rt ist.“Allerdings müsse man diese dann auch regelmäßig ausüben: „Ich empfehle das mindestens drei Mal die Woche, und genauso oft Ausdauersp­ort.“

„Aus meiner Erfahrung fordert der Körper bei Migräne das ein, was man ihm vorher nicht gönnt oder zugesteht: Ruhe, Rückzug, einmal nichts leisten müssen, einfach bei sich sein“, sagte Grabmair. „Oft schwebt das Thema Migräne wie eine dunkle Wolke über den Betroffene­n und dominiert ihr ganzes Leben. Aber je besser man sich selbst wahrnimmt und auf sich achtet, umso mehr Zeit hat man in der Regel, bei den ersten Vorboten einer Attacke noch etwas Gutes für sich zu tun – etwa mit Atem- und Entspannun­gstechnike­n. Und dann erkennt man auch eher, dass es viel Schönes gibt – auch in einem Leben mit Migräne.“

 ??  ?? Podium (v. li.) M. Vigl (niedergela­ssene Neurologin und bei den Barmherzig­en Brüdern), U. Grabmair („Kopfgewitt­er“), G. Kuhn (KURIER), C. Wöber (MedUni Wien)
Podium (v. li.) M. Vigl (niedergela­ssene Neurologin und bei den Barmherzig­en Brüdern), U. Grabmair („Kopfgewitt­er“), G. Kuhn (KURIER), C. Wöber (MedUni Wien)
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Einseitige Schmerzen

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