Kurier

Der einflussre­ichste Unbekannte

Albertina-Schau. Der georgische Künstler Niko Pirosmani wird in Wien groß präsentier­t

- AUS TIFLIS GEORG LEYRER

Auf der Friedensbr­ücke über den Fluss Kura stauen sich die Menschen: Tiflis, georgische Hauptstadt, feiert Stadtfest. Es gibt Honig und Erdnussbut­ter und georgische­n Wein – denn immerhin, so der weitverbre­itete Konsens, entstand hier vor 7000 Jahren der Weinbau.

Und es gibt Socken, Schürzen, T-Shirts mit Motiven des „georgische­n Gustav Klimt“. Der heißt Niko Pirosmani, und wenn Sie noch nie von ihm gehört haben, so soll sich das dieser Tage in Wien ändern: Die Albertina widmet dem vor 100 Jahren verarmt gestorbene­n Künstler, der die Lebensdate­n 1862–1918 mit Klimt teilt, ab Freitag eine Ausstellun­g. Es gilt, einen Brückenkün­stler zu entdecken: Pirosmani, der sich u. a. als Bremser bei der Eisenbahn, als Milchhändl­er und Schilderma­ler verdingte, entwickelt­e in Georgien eine eigene Art des künstleris­chen Übergangs in die Moderne.

Und das ohne Kontakt zur europäisch­en Kunstszene. Pirosmani hat Georgien nie verlassen. Die von ihm gemalte Giraffe ist schwarzwei­ß, weil er nie eine echte gesehen hat und das Motiv aus der Zeitung abmalte. „In Paris waren die Künstler miteinande­r befreundet und voneinande­r beeinfluss­t“, sagt Nationalga­lerie-Direktorin Eka Kiknadze. „Pirosmanis Freunde waren sein Wirt und sein Gemüsehänd­ler.“Und dennoch ist er der „einflussre­ichste Unbekannte“, der die russische Avantgarde geprägt hat.

Umbruchsla­nd

Die Albertina lud im Vorfeld der Ausstellun­g Journalist­en, darunter den KURIER, nach Georgien ein, um einen Einblick in Pirosmanis Werk und Leben zu bieten. Die ehemalige Sowjetrepu­blik, zwi- schen Schwarzem Meer, Türkei, Aserbaidsc­han und Russland gelegen, ist im Umbruch. Heftig wird in den Tourismus investiert; man hofft darauf, den Imageschwu­nd der Türkei für sich nützen zu können.

In der Hauptstadt Tif lis braucht es nur wenige Schritte von der besenreine­n Touristenm­eile bis zu jenem Teil der Altstadt, in dem abbruchrei­fe Häuser stehen. Der Reichtum läuft hier spitz zu. Davon zeugen Wolkenkrat­zer ebenso wie eine gewaltige, erst eineinhalb Jahrzehnte alte, von einem Oligarchen finanziert­e Kathedrale, die das Stadtbild prägt.

Werbung versucht der vermögende­n arabischen und asiatische­n Klientel Luxuswohnu­ngen am Strand schmackhaf­t zu machen. Die aufstreben­de junge Oberschich­t verbringt die Partynächt­e mit elektronis­cher Musik, die internatio­nal für Aufsehen sorgt. Rund um Tif lis aber verlaufen sich viele Straßen rasch im Sand.

Konsens

Pirosmanis Werk aber erzählt vom alten Georgien. Von der traditione­llen Art, Wein zu machen. Von Bären und Eseln und Wild. Von Fischern und speisenden Bauern und von Margarita. Die war eine französisc­he Tänzerin, in die sich Pirosmani so unsterb- lich verliebt hatte, dass er all seine Ersparniss­e in ein Blumenmeer investiert­e.

Es war vergebens, wie Elisabeth Dutz schildert, die gemeinsam mit der Schweizeri­n Bice Curiger die Ausstellun­g kuratiert hat.

Interesse

Die Albertina wurde im Zuge einer Schau zur russischen Avantgarde auf Pirosmani aufmerksam. Und der Künstler hat einen so enthusiast­ischen wie offenbar finanzstar­ken Fürspreche­r. Presseterm­in in einer zum Hotel samt Restaurant samt Kunstraum umgeformte­n ehemaligen Buchdrucke­rei. Hinter der Live-Band läuft ein Animations­film nach Motiven Pirosmanis. Auftritt Ciprian Adrian Barsan.

Der junge Unternehme­r – Typ Start-up-Chef mit Kunstmarkt­optik – geht von Tisch zu Tisch und hält eine mitreißend­e, durch und durch sympathisc­he Rede. Über die Heimat, die Kunst bieten kann und die er – aus Rumänien nach Österreich geflohen – in Pirosmani gefunden hat. Über das Vereinende, das mangemeins­am intuitiv verstehen kann, im Gegensatz zu dem vielen Trennenden, das uns umgibt. Er will daher die Werke Pirosmanis bis nach Tokio bringen. Und noch weiter. Die Pressebild­er, die die Albertina anbietet, weisen als Rechteinha­ber Barsans Stiftung, Infinitart, aus.

Die Schau in Wien zeigt Pirosmani nun im Kontext: Es gibt ein neues Doppelport­rät von Georg Baselitz zu sehen, auch Picasso hatte Pirosmani einst porträtier­t.

Und der japanische Architekt und Pritzker-Preisträge­r Tadao Ando hat einen sieben Meter langen Tisch entworfen. Denn Pirosmani hatte sich einst gegen die Vermarktun­g seiner Kunst gewehrt – und gesagt: Man brauche nur einen großen Tisch, um Tee zu trinken und über Kunst zu reden.

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Diese Giraffe ist schwarz-weiß, weil Pirosmani das Tier nur aus der Zeitung kannte
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Traditione­ller georgische­r Weinbau: „Großer Marani im Wald“, daneben: Margarita, Pirosmanis große Liebe
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