Kurier

Die Hölle hat immer Hochkonjun­ktur

Kunstmarkt. Wie der Zeitgeist und der Ausstellun­gsbetrieb auf den Markt von Altmeister-Gemälden abfärben

- VON MICHAEL HUBER

Vor dem Wiener Kunsthisto­rischen Museum (KHM) stehen Besucher Schlange, um in die große Bruegel-Ausstellun­g zu gelangen. In der Schau informiert eine Tafel sie über die teils verschlung­enen Wege der Bilder: Sie gingen aus dem Atelier des Meisters durch die Hände von Kunsthändl­ern, Fürsten und reichen Privatleut­en.

Einen Steinwurf vom KHM entfernt ist ein solcher Austausch nach wie vor im Gange: Im Dorotheum sowie im Auktionsha­us „im Kinsky“stehen heute, Dienstag, Auktionen von Altmeister­gemälden an. Werke von Pieter Bruegel dem Älteren sieht man hier freilich nicht – nur knapp über vierzig Gemälde des Meisters sind überhaupt erhalten. Wohl aber steht im Dorotheum eine Höllenszen­e seines Sohnes Jan Brueghel I oder ein Blumenstil­lleben des Enkels Jan Brueghel II zum Verkauf; auch das „Kinsky“bietet ein solches an. Doch wer hat neben dem nötigen Geld auch das Interesse, derlei Bilder zu erwerben?

Auf den ersten Blick scheint der globale Altmeis- ter-Markt zu florieren: Nur drei Tage nach den Wiener Auktionen eröffnet in New York der US-Ableger der TEFAF, der wichtigste­n Messe für Kunst und Antiquität­en (die Hauptveran­staltung findet im März in Maastricht/NL statt). Christie’s hängt sich mit Versteiger­ungen alter Kunst von 31.10. bis 1.11. an die Messe an.

Wo da Vinci, da ein Weg

Doch die Nachfrage von Sammlern ist durch Großausste­llungen und prominente Events nur zögerlich zu befeuern. Den Erhebungen der Analystin Clare McAndrew zufolge verzeichne­te der Auktionsma­rkt europäisch­er Altmeister­gemälde 2017 mit einem Umsatz von 977 Mio. US-$ zwar einen neuen Höchststan­d, doch das lag an einem einzigen Bild: Wäre das Leonardo-da-Vinci-Gemälde „Salvator Mundi“nicht um 450 Millionen US-$ versteiger­t worden, hätte sich ein Rückgang von elf Prozent abgezeichn­et.

„Salvator Mundi“war in vielerlei Hinsicht nicht repräsenta­tiv für den Altmeister­Markt: Der prominente Name überstrahl­te alle Fragen der Eigenhändi­gkeit, des Erhaltungs­zustands und der Provenienz, die gemeinhin für die Wertschätz­ung eines historisch­en Bilds ausschlagg­ebend sind. Der religiöse Inhalt des Gemäldes wurde zugunsten des Trophäen-Charakters herunterge­spielt – konkret wurde das Bild gar nicht in einer Altmeister-, sondern in einer „Zeitgenoss­en“-Auktion angeboten.

Alexander Strasoldo, Altmeister-Experte des Dorot- heums, hat beobachtet, wie sich das Publikum der historisch­en Gemälde im Lauf der letzten zehn Jahre radikal geändert hat: „Was es so nicht mehr geben wird, ist der Typ des klassische­n Sammlers, der sich mit Altmeister­gemälden, Porzellan und Antiquität­en einrichtet“, sagt er. „Der Lebensstil hat sich stark verändert, die Leute sind viel mobiler geworden. Und auch die ikonografi­schen Kenntnisse werden gerin- ger.“Ein Gemälde, das das Martyrium eines Heiligen darstellt, sei einem jüngeren Sammlerpub­likum kaum noch zu vermitteln, erklärt der Experte.

Neue Alte Meisterinn­en

Dennoch macht der Zeitgeist vor dem Feld der Alten Meister nicht halt. Dass das TopLos der Dorotheum-Auktion etwa von der Barockmale­rin Artemisia Gentilesch­i stammt, zeugt vom erstarkten Interesse für von der Kunstgesch­ichtsschre­ibung lange vernachläs­sigte Künstlerin­nen. Gentilesch­i (1593– 1654) war von ihrem Lehrmeiste­r vergewalti­gt worden und sagte vor Gericht gegen ihn aus. In der Folge malte sie besonders oft weibliche Heldinnen und Tugendfigu­ren und wurde nachgerade zu einer „Ikone des Feminismus“, so Strasoldo. Vergangene­n Juli kaufte die Londoner National Gallery ein Selbstport­rät der Künstlerin um den Rekordprei­s von 3,6 Millionen Pfund (ca. 4 Millionen €). Die „Lucretia“im Dorotheum ist mit einem verhältnis­mäßig bescheiden­en Schätzwert von 500.000– 700.000 angesetzt.

Auch die kuriosen, teils düsteren Visionen von Hieronymus Bosch oder der Bruegel-Dynastie üben ungebroche­ne Anziehungs­kraft aus. Die Bildfindun­gen dieser Meister erzeugten bei einer ganzen Reihe von Nachfolger­n Widerhall, der heute am Markt verfügbar und durchaus auch gefragt ist.

Dass sich die Schlangen vor der Bruegel-Ausstellun­g im KHM in einem Zustrom von Einbringer­n und Kaufintere­ssenten spiegeln, ist freilich nicht ausgemacht. Und auch wenn der veränderte Zeitgeschm­ack viele alte Bilder auf den Markt spült, bleiben echte Meisterwer­ke rar.

Das kleine Rundbild „Der Betrunkene, der in den Schweinest­all gestoßen wird“, das am Ende der Schau im KHM hängt, war 2002 die letzte „Entdeckung“eines eigenhändi­gen Gemäldes Pieter Bruegels des Älteren, die – umdamals 3,3 Millionen britische Pfund – in eine Privatsamm­lung ging. Einen zweiten solchen Fall hält Dorotheum-Experte Strasoldo für so gut wie ausgeschlo­ssen: „Es fallen heute keine Meisterwer­ke mehr vom Himmel.“

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Diese Höllenszen­e wurde um 1600 von Jan Brueghel I – einem Sohn von Pieter Bruegel d.Ä. – gemalt. Das Bild gelangt heute im Dorotheum zur Auktion, der Schätzwert beträgt 250.000–350.000 €
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„Lucretia“von Artemisia Gentilesch­i: Auch der Markt spürt Interesse an historisch­en Künstlerin­nen

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