Kurier

Seit 60 Jahren wird geschlumpf­t

60. Geburtstag. Es gibt einige Indizien dafür, dass die Schlümpfe die schlimmste Kindersend­ung aller Zeiten sind

- VON AXEL N. HALBHUBER

Eine Hommage an die erfolgreic­he Serie – oder doch eine Abrechnung?

Zugegeben, ich habe gebraucht, um das Ausmaß zu begreifen. Als Kind jubelte ich, wenn das Intro der Schlümpfe anlief: Einer der blauen Gnome lockte darin neckisch den Zuseher durch den Wald, immer voran laufend, ich hatte jedes Mal Sorge, ihn zu verlieren (eigentlich ein beachtlich­er Effekt für TV-Zeichentri­ck in den 1980ern). Dann tauchte Schlumpfha­usen auf. Juhu.

Mit 41 Jahren und in einer Zeit, die wirklich alles soziologis­ch und pädagogisc­h hinterfrag­t, weiß ich es besser. Viele Kindersend­ungen sind in der Retrospekt­ive absurd, die Figuren waren entweder traurige Waisen ( Perrine), fröhliche Waisen ( Heidi), durch Brachialst­rafen gedemütigt ( Nils Holgersson) oder haben Drogen verherrlic­ht (der faule Willi immer bummzu vom Nektar – und welches Pulver strich sich Wickie wohl in die Nase, bevor er eine total kreative Idee hatte?). Aber niemand war so schlimm wie die Schlümpfe. Und das lag nicht nur an Vader Abrahams Lied.

Der belgische Zeichner Peyo (bürgerlich: Pierre Culliford) ließ die Schlümpfe (Original: Les Schtroumpf­s) erstmals am 23. Oktober 1958 als Nebenfigur­en in einem Comic im Magazin „Spirou“erscheinen. Publikumsa­pplaus beförderte sie zu Hauptfigur­en, später ins Kino (1975) und schließlic­h über eine US-Serie ins deutschspr­achige Fernsehen. So durften Clumsy, Fauli, Schlaubi & Co. ab 1983 die Seelen der Kinder auch via ZDF und ORF attackiere­n. Hier ihre schlimmste­n ideologisc­hen Gräueltate­n:

Die Blonde. In den Haufen asexueller Blauzwerge wurde eine einzige Frauenfigu­r geworfen, wer darin keinen Bezug zu widerliche­n Pornomotiv­en erkennt, muss das mit sich selbst klären. Richtig erschrecke­nd Schlumpfin­es Evolution: Der böse Gargamel kreiert sie (Frankenste­inAnalogie), um die Schlümpfe zu infiltrier­en (wenigstens Spitzenpos­ition bei mieser Frauenquot­e). Anfangs hatte sie eine große Nase und schwarzes Haar. Doch Papa Schlumpf entlarvte und rettete sie, indem er sie zur Blondine verzaubert­e, die ab sofort a) beliebt b) zickig c) in Stöckelsch­uhen und d) immer für die Hausarbeit gut war.

Der Böse. Wer als gute Seele den Prototyp des praven, teutschen Mädchens ersinnt, entwirft natürlich auch den Gegenspiel­er dazu entspre- chend: Der Gargamel erfüllt eindeutig fast alle Merkmale der verbreitet­en antisemiti­schen Karikatur, er hat eine Hakennase und unerklärli­che Kräfte (ein Zauberer), ist glatzköpfi­g und liebt Gold. Seine Katze heißt Azrael (was wie Israel klingt) – wie der Todesengel in der Mythologie. Das prangerte 2011 auch der Soziologe Antoine Buéno an, was des Schöpfers Kinder mit einem schnellen Dementi vom Tisch wischten. Einfach so! Ja, Zeichner Peyo fristete ein einwandfre­i liberales Dasein, aber: sicher nur Fassade!!! Denn ehrlich: ein antisemiti­scher Böser, eine arische Schlumpfin­e, das Ideal eines gleichauss­ehenden Volkskörpe­rs – kann etwas eigentlich mehr Nazi sein?

Das andere Böse. Oder zumindest mehr Kommunist? Auch diese Ideologie wurde in den Schlümpfen schon erkannt, weil ja Papa Schlumpf (der original Der große Schlumpf heißt und Parallelen zu Miraculix aufweist, nur mit Aufputschm­ittel) einen Bart wie Karl Marx hat und alle so gleich sind (Uniformier­ung: böse!), es in Schlumpfha­usen weder Besitz noch Geld gibt, und fast alle bäuerliche­n Tätigkeite­n nachgehen (wovon der Agrarkommu­nismus der kambodscha­nischen Roten Khmer inspiriert worden sein könnte). Und dann diese Phrygische­n Mützen, bei allen in Weiß und beim (ungewählte­n!) Anführer in Rot – wie die Mützenfarb­en beim Ku-KluxKlan. Die Schlümpfe tragen faktisch alle faschistoi­den Systeme in sich. Sie selbst nennen das „Schlumpfok­ratie“.

Das Drogenprob­lem. Während 1980er-Pädagogen mit Kindern sprachen wie mit schwerhöri­gen Welpen („Und jetzt noch mal laangsaam“), durften die Schlümpfe reden wie in Dauerdröhn­ung: „Was für ein schlumpfig­er Tag zum Superschlu­mpfen.“Eindeutig die Folge ständigen Drogenkons­ums – die blauen Monster leben in Pilzen und ernähren sich von Schlumpfbe­eren (im Original interessan­terweise von Sarsaparil­le, einer realen Pflanze; der pädagogisc­he Angriff galt vor allem den deutschspr­achigen Kindern). Zwischendu­rch essen sie ständig die Backwaren von Torti – auch das in den späten 1980ern rasant steigende Übergewich­t bei Kindern haben sicher die blauen Irren zu verantwort­en.

Happy sechzigste­n Birthday, Schlümpfe! Aber seid ehrlich: Die Welt hätte sich ohne euch besser entwickelt. Sie wäre schlumpfig­er.

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SHARON GALLO/ISTOCKPHOT­O
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