Kurier

Asylskanda­l um syrischen Stasi-General

Verdacht auf Kriegsverb­rechen.

- VON KID MÖCHEL UND DOMINIK SCHREIBER

Einem Assad-Mann wurde in Paris Asyl verweigert und in Wien im Eilverfahr­en gewährt. Die Justiz ermittelt gegen heimische Beamte.

Friedliche Demonstrat­ionen wurden mit Gewalt niedergesc­hlagen, männliche Gefangene mussten sich bei den Befragunge­n nackt ausziehen, wurden geschlagen und erhielten Elektrosch­ocks. Weitere Foltermeth­oden hießen „Fliegender Teppich“oder „Shabah“. Dabei wurde die Wirbelsäul­e der Opfer überdehnt; oder sie wurden an den Händen gefesselt aufgehängt. Auch in einen Reifen mussten sich die Gefangenen legen, um dann mit Stöcken und Kabeln verprügelt zu werden („Doulab“). Nach der Tortur wurden die Betroffene­n zu zehnt in fensterlos­e Zellen gepfercht, die gerade einmal zwei Quadratmet­er groß waren. Nicht, weil kein Platz war, sondern um die Gefangenen zu demütigen.

Diese grauenhaft­en Schilderun­gen stammen von Opfern sowie Zeugen und beschreibe­n die Zustände in den Gefängniss­en des syrischen Geheimdien­stes in der Stadt Rakka. Das Belastungs­material hat die Menschenre­chtsorgani­sation Commission for Internatio­nal Justice and Accountabi­lity (CIJA) zusammenge­tragen.

Besonders brisant ist dabei, dass Khalid H., der frühere Geheimdien­st-Brigadegen­eral und damals zuständige Chef für Staatssich­erheit in Rakka, seit 13. Juni 2015 in Österreich lebt und in einem Schnellver­fahren Asyl erhalten hat. Aufgrund eines Europol-Fahndungse­rsuchens von Frankreich vom 30. Mai 2018 ermittelt nun die Staatsanwa­ltschaft Wien gegen den Stasi-General H. – wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlich­keit, des Völkermord­s und der Kriegsverb­rechen.

Tatzeit: März 2011 bis Februar 2013.

Tatort: Rakka, Syrien.

„Nichts Illegales“

Khalid H. will „nichts Illegales“gemacht haben und sogar einem Mordanschl­ag entgangen sein. Offizielle Erklärung: Der syrische Zoll soll sein Auto fälschlich­erweise beschossen haben. Dass Ex- Stasi-Chef H. mittlerwei­le als Asylberech­tigter unbehellig­t in Österreich lebt, sorgt nun für Ermittlung­en wegen des Verdachts des Amtsmissbr­auchs gegen Mitarbeite­r des Bundesamts für Fremdenwes­en (BFA) und des Verfassung­sschutzes (BVT).

Die Sache ist insofern hochpoliti­sch, weil der General – der direkt dem Diktator Baschar al-Assad unterstand – zuvor schon in Frankreich Asyl beantragt hatte. Nach dem Dublin-Abkommen müsste eigentlich jenes EULand das Verfahren führen, in das der Flüchtling zuerst eingereist ist. Laut einem druckfrisc­hen Bericht des BVT an die Staatsanwa­ltschaft Wien, der dem KURIER vollständi­g vorliegt, hatKhalidH. eine Bilderbuch karriere im syrischen Militär geheimdien­st und in der Staatssich­erheit hingelegt – und das als Mitglied der Religionsg­e mein schaft der Drusen.

Nach Stationen in Suweida, Homs und Tartus soll er von 2009 bis Anfang März 2013 die Staats sicherheit sabteilung„Br an ch 335“in Rakka geleitet haben. Laut CIJA, die sich auf zehn Zeugen beruft, war die Gruppe etwa für Checkpoint­s zuständig, an denen Menschen erschossen wurden. Auch für die brutale Niederschl­agung von Demonstrat­ionen der syrischen Opposition sei „Branch 335“verantwort- lich. Wenige Tage bevor die Stadt Rakka in die Hände der syrischen Opposition fiel, setzte sich General H. laut eigenen Angaben (im Februar/März 2013) in die Türkei ab, angeblich mithilfe von Schleppern. Lange wurde in arabischen Zeitungen gerätselt, wo der Brigadegen­eral untergetau­cht sei. So wurde kolportier­t, er habe Geheimniss­e für 100.000 Dollar an Frankreich verraten, was er selbst aber bestreitet.

Ein Jahr in Paris

Knapp ein Jahr nach seiner Flucht in die Türkei reiste der General über Jordanien nach Frankreich aus und beantragte dort Asyl. Bei den Befragunge­n durch die französi- sche Asylbehörd­e verwickelt­e er sich bereits in Widersprüc­he. Der Vernehmung­sbeamte stellt in der Befragung nüchtern fest, das H. seine Rolle heruntersp­ielen würde. Nur vier oder fünf Personen habe er verhaften lassen, sagte der Ex-General, „auf Befehl von oben“. Darunter war der syrische Autor Najati T., der 2013 bis 2015 in Paris als Flüchtling­s-Gastautor lebte. T. soll ein Belastungs­zeuge gegen H. sein.

Der General soll danach ein Jahr in Hotels, Pensionen und bei Freunden in Paris gelebt haben. „Ich fühlte mich in Frankreich nicht wohl, da es dort sehr viele Syrer gibt, die sich in Unterstütz­er des Regimes und der Opposition

aufteilen“, sagte H. später. Er dürfte ein weiteres Motiv gehabt haben: „Als er erkennen konnte, dass sein Antrag negativ beschieden würde, kehrte er Frankreich den Rücken“, heißt es im aktuellen BVT-Bericht.

H. reiste am 13. Juni 2015 per Zug nach Wien, fuhr am nächsten Tag mit dem Taxi ins Flüchtling­slager Traiskirch­en und beantragte dort Asyl.

„Keine Gefahr“

Bei der Befragung durch das BFA gab er sogar an, bereits in Frankreich einen Asylantrag gestellt zu haben. Dabei sagte er, dass er nicht einverstan­den sei, dass das BFA „weitere Ermittlung­en zum Asylverfah­ren in Frankreich durchführe (...) Ich würde es nicht begrüßen, wenn Daten jetzt an Frankreich weitergege­ben werden“, sagte H. „Ich habe Angst um mein Leben.“

Das Referat Nachrichte­ndienste des BVT war brennend an dem General interessie­rt. So schrieb deren Chef, Abteilungs­leiter W., am 16. November 2015 an das Asylamt: „Dem BVT liegen keinerlei Informatio­nen vor, dass Khalid. H. (…) in Syrien in Kriegsverb­rechen oder sonstige Straftaten involviert gewesen sei. Auch liegen keine Anhaltspun­kte vor, dass durch die Anwesenhei­t von H. in Österreich die Öffentlich­e Sicherheit gefährdet wäre“. Seitens des BVT liegen „keinerlei Versagungs­gründe bezüglich des Asylverfah­rens vor“.

Am 2. Dezember 2015, nach nur sechs Monaten, wurde H. der Asyl-Status in Österreich zuerkannt. Mit der Begründung: Die behauptete Furcht vor Verfolgung wurde als glaubwürdi­g bewertet. In Frankreich wurde sein Asylantrag Ende 2017 abgelehnt.

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Brigadegen­eral Khalid H. bekam in Österreich Asyl und Pass (ganz oben), weil das BVT „keinerlei Informatio­nen“über „Kriegsverb­rechen oder sonstige Straftaten“hatte (unten).Die eigentlich zuständige Asylbehörd­e in Frankreich sah das anders (oben), nun wird wegen Verdacht des Kriegsverb­rechens ermittelt. Das große Bild zeigt Rakka im Jahr 2014
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13. J UNI 2 0 1 5Der General trifft per Zug in Wien ein. Am nächsten Tag fährt er mit dem Taxi nach Traiskirch­en, am 15. Juni wird er befragt.

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