Kurier

„Den Kindern wird zu wenig zugetraut“

Erfolgsmod­ell. Die deutsche Bildungspo­litikerin von Ilsemann über Reformen für Brennpunkt­schulen

- – UTE BRÜHL

Wenn Eltern kein Geld und auch kein Interesse an Bildung haben, haben die Kinder oft schon verloren. Sie sammeln sich oft in Schulen, in denen die Probleme kumulieren. Als Cornelia von Ilsemann 2003 die Schulagend­en in Bremen übernahm, hat sie sich zum Ziel gesetzt, das Niveau an diesen Standorten zu heben. Mit Erfolg.

KURIER: Welche Maßnahmen haben zum Erfolg geführt? Cornelia von Ilsemann: Unsere Strategie stand auf drei Säulen. Erstens: Schulen mussten einen Plan entwickeln, wie sie das Niveau heben und sich für die Lernentwic­klung jedes einzelnen Schülers verantwort­lich fühlen. Zweitens: Von Lehrern und Schülern wurde hohe Verbindlic­hkeit eingeforde­rt, etwa dass alle pünktlich sind. Drittens: Die Einstellun­g zu den Schülern sollte sich ändern – viele hielten die Kinder für leistungss­chwach, haben ihnen zu wenig zugetraut. Doch Überfürsor­glichkeit kann den Lernfortsc­hritt sogar behindern. Sätze wie „Toll, dass du kommst, obwohl du es so schwer hast“, hörten wir oft. Besser wäre zu sagen: „Prima, dass du da bist, jetzt geht’s an die Arbeit, du schaffst das!“ Haben Sie sprochen?

Nein, wir haben 20 Schulen der 5. bis 10. Schulstufe mit den schlechtes­ten Ergebnisse ausgewählt, und gesagt: „Zwölf können an einem Projekt teilnehmen – Ihr müsst Euch dafür allerdings bewerben.“Durch die Teilfreiwi­lligkeit wurden Pädagogen Teil des Projekts. Unser Verspreche­n: „Es kommt jemand von außen in die Schule und sieht sich an, wer am meisten Unterstütz­ung braucht. Hilfe gibt es in Form von Lehrerfort­bildung und Beratung und von Strukturma­ßnahmen wie Ganztagssc­hulen“. Und die Schulen erhielten Gestaltung­sfreiheit für besondere pädagogisc­he Konzepte. alle Schulen ange-

Heißt das Zauberwort hier Schulentwi­cklung? (Auf Basis wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se wird der Unterricht auf den Standort zugeschnit­ten; Anm.)

Ja. Wir setzten wenige Ziele: die Basiskompe­tenzen in Mathe und Deutsch müssen beherrscht werden. Ob sich die Schüler verbessert­en, sollte alle zwei Jahre überprüft werden. Die Schüler sollten nicht nur für die Tests lernen, sondern selbst Verantwort­ung für ihren Lernfortsc­hritt übernehmen. Wie waren denn die Ausgangsle­istungen der Schüler?

Die Unterschie­de waren sehr groß. Ein Drittel war in der 5. Stufe auf dem Niveau der 2. Klasse Volksschul­e. Viele hatten Sprachprob­leme – nicht nur Migranten.

Wie hat sich verändert?

Es gab wenig Zusatzress­ourcen, stattdesse­n Teamarbeit: Alle Deutschleh­rer der gleichen Stufe gingen z.B. auf Fortbildun­g und lernten, wie sie damit umgehen, dass Schüler so verschiede­n sind: Manchen hilft Material zum Anfassen, manchen mehr Zeit, hier braucht es Methodenvi­elfalt und individuel­le Fördermode­lle. Die Lehrer haben sich im Unterricht besucht und voneinande­r gelernt. Die Direktion musste einen Vertrag unterschre­iben, dass sie das ermöglicht. Und wir haben den Schulen große Freiheiten gegeben:

der

Schulallta­g „Wenn ihr in den Wald gehen wollt, Bäume fällen wollt: macht es!“Auch dabei machen Schüler die Erfahrung, dass sie etwas leisten können.

Die größten Schwierigk­eiten?

Disziplinp­robleme waren zu Beginn ein riesiges Thema. Also führten wird Regeln und Rituale wie Ruhezeiche­n ein. War es einem Kind oder Lehrer zu laut, klingelte er z.B. an einer Triangel und es wurde automatisc­h leiser.

Wie waren die Ergebnisse der regelmäßig­en Leistungst­ests?

In Mathematik lagen die „Leistungss­chwächsten“am Ende im Bremer Schnitt. In Deutsch waren die Fortschrit­te nicht so auffällig. Mathe lernt man eben nur in der Schule, Sprache lernt oder verlernt man auch außerhalb. Meine Conclusio: Wir hätten schon vor 20 Jahren eine konzertier­te Aktion von Schulverwa­ltung und Forschung haben müssen, die vermittelt, wie man gut eine Zweitsprac­he lernt. Und: Viele Lehrer wollen gut unterricht­en, fühlen sich aber überforder­t. Ihnen müsste man erprobte Materialen in die Hand geben. INFO: Die Langfassun­g des Interviews lesen Sie auf kurier.at/wissen

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Von Ilsemann: „Disziplinp­robleme sind ein riesiges Thema“

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