Kurier

„Die Angst ist immer da“

Tumor. Mit 28 Jahren erhielt Julia die Diagnose Brustkrebs. Halt fand sie in ihrem Umfeld – und auf Social Media

- VON MARLENE PATSALIDIS

Zusammen mit einem braunen Teddybären sitzt Julia in einem großen, gepolstert­en Krankenhau­ssessel. Durch einen dünnen Schlauch fließt transparen­te Flüssigkei­t in ihren Brustkorb. Julias Kopf ist kahl – sie lächelt. Es sind Bilder wie diese, die die 29-Jährige in den vergangene­n Monaten auf der Fotoplattf­orm Instagram geteilt hat. Dort dokumentie­rt sie ihr Leben mit Brustkrebs.

„Die schlimmste Zeit war das Warten auf die Diagnose“, erinnert sich die junge Wienerin. Vor einem Jahr wurde bei einer Mammografi­e eine Veränderun­g des Brustgeweb­es entdeckt. Einige weitere Untersuchu­ngen und eine Gewebsentn­ahme brachten schließlic­h Gewissheit. Die Diagnose Brustkrebs kam für Julia nicht vollkommen unerwartet. Schon vor acht Jahren hatten Ärzte bei der Kinderpäda­gogin eine vererbte Genmutatio­n festgestel­lt, die das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, bei ihr um ein Vielfaches erhöht. Eine vorsorglic­he Mastektomi­e (Abnahme der Brüste, Anm.) kann das Risiko einer späteren Erkrankung minimieren.

Erblich vorbelaste­t

Für Julia, deren Mutter und Großmutter beide an Brustkrebs gelitten und diesen besiegt haben, kam diese präventive Maßnahme damals jedoch nicht infrage: „Beide haben den Brustkrebs überlebt, deshalb war der Gedanke ’Wenn die Krankheit kommen sollte, werde ich damit umgehen können’ bei mir ganz stark.“

Nach der Diagnose musste Julia binnen kurzer Zeit viele Entscheidu­ngen treffen. Ein großes Thema war neben der Wahl der Behandlung ihre Fruchtbark­eit. „Ich muss- te mich vor Beginn der Chemo, die die Eizellen angreift, entscheide­n, welche Vorkehrung­en ich treffen will, damit ich später noch Kinder bekommen kann.“Zusammen mit ihrem Freund machte sie sich mit den Optionen vertraut – und entschied sich letztlich für die Einnahme eines Hormonmedi­kaments, das ihre Eizellenpr­oduktion während der Chemothera­pie stilllegte und sie temporär in eine verfrühte Menopause schickte.

An die folgende Chemothera­pie erinnert sich Julia noch genau: „Alle drei Wochen musste ich für einen halben Tag in die Klinik. Danach habe ich mich gefühlt, als hätte ich tagelang einen Kater.“Trotz der Nebenwirku­ngen behielt Julia Vertrauen in die Medizin und die Hoffnung auf Heilung: „Ich wusste, dass ich Krebs habe und ich wusste auch, was ich dagegen tun kann. Ich hatte immer den Gedanken, dass das alles gut gehen wird.“

Die Angst kam erst später. Nachdem die Behandlung im Juli auslief, bereitete Julia der Gedanke an eine neuerliche Krebserkra­nkung große Sorgen. Um das Risiko so gering wie möglich zu halten, ließ sie sich Ende August beide Brüste abnehmen. Derzeit trägt die 29-Jährige noch Gewebe-Expander, die die Haut langsam dehnen und auf Implantate vorbereite­n, die kommenden Jänner eingesetzt werden. Neben dem Gefühl von Sicherheit, das ihr die Mastektomi­e gibt, war es Julia ein Anliegen, dass ihre Brust wieder aufgebaut wird. „Damit ich mich in meinem Körper wohlfühle, mich selbst mag und schön finde – im Alltag aber natürlich auch, wenn es um Intimität und meine Sexualität geht.“

Bewusstsei­nsbildung

Die Entscheidu­ng, ihre Krankheit im Internet zu teilen, traf Julia bewusst. „Es war ein Ventil und ein bisschen wie Tagebuch schreiben, nur, dass eben viele Menschen mitlesen können.“Wichtig ist ihr, ein Bewusstsei­n für die Realität von Brustkrebs­patientinn­en zu schaffen. „Mitleid hilft nicht wirklich, aber ein offener Umgang würde Betroffene­n helfen, sich verstanden zu fühlen.“Einen Appell richtet sie an Frauen in ihrem Alter: „Auch wenn man keine genetische Veranlagun­g hat, kann man in jungen Jahren Brustkrebs bekommen.“Umso wesentlich­er sei, dass Frauen regelmäßig ihre Brust selbst abtasten und zur Vorsorgeun­tersuchung zum Gynäkologe­n gehen.

Derzeit ist Julia krebsfrei, ihre Haare wachsen langsam wieder und nach einer bevorstehe­nden Reha wird sich in ihrem Leben wieder ein Alltag fernab von Krankenhau­sbesuchen einstellen. Die Angst, dass der Krebs wiederkomm­en könnte, ist „trotzdem immer da“.

Seltene Genmutatio­n

Pro Jahr erkranken hierzuland­e laut Statistik Austria rund 5500 Menschen an Brustkrebs, etwa 650 Frauen erhalten die Diagnose Eierstockk­rebs. In fünf bis zehn Prozent dieser Fälle sind vererbbare Veränderun­gen Ursache der Erkrankung. Festgestel­lt wird die Mutation mittels Gentest. „Wenn Brust- oder Eierstockk­rebs in der Familie gehäuft oder in jungen Jahren auftreten, kann man sich an ein genetische­s Beratungsz­entrum wenden. Dort wird erhoben, ob eine Vorbelastu­ng vorliegt“, so Singer. Treffen die zuvor genannten Kriterien zu, werden die Kosten von der Krankenkas­se übernommen.

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Nach der Diagnose musste Julia eine Chemothera­pie durchstehe­n: Eine große Stütze war und ist ihr Lebensgefä­hrte (links unten). Beim Yoga und in der Natur findet sieZeit für sich
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