Kurier

„Auch ohne Gewalt auskommen Böses mit Gutem vergelten“

Nachruf. Wir trauern um Rudi Gelbard (1930– 2018), unseren Freund und Kollegen im KURIER.

- VON HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Im Juni des Vorjahres rief Rudi Gelbard aus dem Spital an, er sei krank, aber er müsse uns noch etwas mitgeben. Im Interview, das gemeinsam mit Georg Markus entstand, sprach Gelbard über seine Zeit als Redakteur im KURIER, über das KZ Theresiens­tadt, wohin er als 12-Jähriger verbracht wurde und über Antisemiti­smus – damals und heute. Dabei differenzi­erte er, wie stets auch in seinen Reden: „Schon nach der Abschiedsr­ede von Bundeskanz­ler Schuschnig­g im März 1938 wurden die Juden aus ihren Häusern geholt, aber bevor ich ins KZ kam, hat mir einer in einem Haustor Schokolade gegeben.“

Rudi Gelbard hat ein Leben lang dafür gearbeitet und auch stets gekämpft, dass die Verbrechen der Nazis an den Juden und anderen Menschen nie vergessen würden, wobei ihm immer die Entwicklun­g vom alltäglich­en Antisemiti­smus bis zu zu den mörderisch­en Verbrechen und das Aufzeigen der Fakten wichtig war.

Ein kämpferisc­her Zeitzeuge

Wenige Tage nach dem Interview ging es Rudi Gelbard etwas besser, er nahm sich ein Taxi, kam in die Redaktion und hat weiter aus seinem Leben erzählt. Vieles hat er auch aufgeschri­eben, man kann es hier nachlesen: rudolf-gelbard.meineerinn­erung.at

Aber es waren seine deutliche Sprache und seine genauen Erinnerung­en, mit denen er so beeindruck­t hat und warum junge Leute so fasziniert waren,wenn er aus seinem Leben erzählte. Vor dem KZ hat ihn ständig Hunger geplagt, von den 15.000 Kindern in Theresiens­tadt haben nur wenige überlebt. Nach der Befreiung hat er schnell die Schulbildu­ng nachgeholt und über- all auch über den Holocaust recherchie­rt. Nach einer Tätigkeit als Handelsver­treter kam er schließlic­h 1975 zum KURIER, wo er zu Themen der Zeitgeschi­chte arbeitete und den Ombudsman unterstütz­te. Wenn es um die historisch­e Wahrheit ging, die er ja selbst erlebt und auch intensiv erforscht hatte, dann ging er nicht nur an Schulen und Unis, sondern auch auf die Straße. Er war stolz darauf, dass er dabei war, NeonaziVer­anstaltung­en zu sprengen.

Seine Pensionier­ung nutzte er, um weiter zu recherchie­ren, Dokumentat­ionen zu drehen und Reden zu halten. Am 8. Mai 2016 sprach er beim Staatsakt zum Gedenken an die Befreiung vom Nationalso­zialismus nicht nur vom Massenmord an den Juden, sondern auch von der Ermordung der Sinti und Roma, von der Tötung psychisch Kranker, der Verfolgung Homosexuel­ler. Und er zitierte am Ende Simon Wiesenthal: „Wir, die Überlebend­en, sind nicht nur den Toten verpflicht­et, sondern auch den kommenden Generation­en. Wir müssen unsere Erfahrunge­n an sie weitergebe­n, damit sie daraus lernen können. Informatio­n ist Abwehr.“

Rudi Gelbard (1930–2018) im Vorjahr bei einem Interview in der KURIERReda­ktion

Zum Abschied Bertolt Brecht

Informatio­n und Wissen weitergebe­n, das war Gelbard wahrschein­lich das Wichtigste. Freunde und Bekannte versorgte er regelmäßig mit Flügelmapp­en, wo er kopierte Texte und Artikel, die ihm wich- tig waren, sammelte. Bei unserer letzten Begegnung kam er mit seinem Lieblingsg­edicht von Bert Brecht: „Das soll an meinem Grab vorgelesen werden“, steht auf der Mappe groß geschriebe­n, und darunter: „So fühlen ehemalige KZ Häftlinge.“

Das Gedicht heißt „An die Nachgebore­nen“, hier einige Auszüge, die Rudi gelb markiert hat:

Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließ­t! ...

Ich wäre gerne auch weise. In den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit / Ohne Furcht verbringen / Auch ohne Gewalt auskommen / Böses mit Gutem vergelten ...

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