Kurier

Digitale Großuntern­ehmen leben auf unsere Kosten

- VON BRUNO LE MAIRE

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or unseren Augen entsteht die Wirtschaft des 21. Jahrhunder­ts. Diese von der Digitalisi­erung getragene Wirtschaft ist vielverspr­echend. Allerdings müssen wir noch die Regeln festlegen, um die Verteilung des Reichtums zu verbessern, um soziale und steuerlich­e Gerechtigk­eit zu gewährleis­ten sowie eine übermäßige Konzentrat­ion von Kapital und Know-how in den Händen einiger weniger zu bekämpfen. Die Steuergere­chtigkeit ist untrennbar mit der Entstehung und Entwicklun­g von Demokratie­n verbunden. Steuern ermögliche­n die Finanzieru­ng eines Landes zum Wohle aller. Folglich ist es wesentlich für die Zukunft unserer Demokratie­n, dass jeder seinen gerechten Anteil an Steuern zahlt. Aber das ist heute nicht der Fall.

Innerhalb von knapp 10 Jahren haben eine Handvoll digitaler Großuntern­ehmen unseren Alltag auf den Kopf gestellt. Sie haben unser Leben und unserer Konsumverh­alten verändert. Diese Unternehme­n sind innovativ und schaffen Arbeitsplä­tze. Wir werfen ihnen nicht ihren Erfolg vor. Wir werfen ihnen allerdings eine schreiende Ungerechti­gkeit vor: die riesige Kluft zwischen dem Reichtum, den sie durch die Nutzung unserer persönlich­en Daten oder unserer Infrastruk­turen anhäufen, und den Steuern, die sie im Gegenzug entrichten.

Profit der Digitalrie­sen

Bis jetzt haben wir es zugelassen, dass unsere Unternehme­n im Vergleich zu digitalen Konzernen eine um 14 Punkte höhere Steuer zahlen. Wir haben toleriert, dass sich diese Unternehme­n ohne echte Gegenleist­ung an unseren Daten bereichern. Sie haben von unserem Unvermö- gen profitiert, unsere veralteten Steuerrege­lungen aus dem 20. Jh. gemeinsam anzupassen, als die Steuern noch in Bezug auf physische Präsenz berechnet wurden. Sie nutzen unsere Unterschie­de zu ihrem Vorteil, indem sie ein Land gegen das andere ausspielen. Wir müssen jetzt der Forderung der europäisch­en Völker nach Gerechtigk­eit und Effizienz nachkommen. Wenn sich die Unternehme­n mit den höchsten Umsätzen der Besteuerun­g entziehen, folgt daraus, dass andere Unternehme­n und alle Bürger mehr Steuern zahlen müssen. Am Ende gibt es weniger Mittel, um die Dienstleis­tungen für das Allgemeinw­ohl zu finanziere­n. Die EU kann dem als Erste Abhilfe schaffen: das haben wir mit dem Schutz unser persönlich­en Daten und dem Schutz des Urheberrec­hts getan; nun müssen wir die Steuergere­chtigkeit wiederhers­tellen. Seit über einem Jahr kämpfen mehrere europäisch­e Länder, darunter Frankreich, an vorderster Front. Heute haben wir über 20 Mitgliedst­aaten von einer einfachen und wirksamen Lösung überzeugen können: Steuern von 3 Prozent auf den Umsatz der größten digitalen Unternehme­n. Ich begrüße die Bemühungen der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft, die sich voll für das Thema im Rahmen des Finanzmini­ster-Rats einsetzt. Wir möchten uns bis Ende des Jahres auf einen Gesetzeste­xt der Europäisch­en Kommission einigen. Eine weltweit geltende Lösung wäre zwar besser. Aber das werden wir nur schaffen, wenn wir eine Übergangsl­ösung auf europäisch­er Ebene einrichten. Es ist Zeit zu handeln. Die Völker Europas ertragen den Status quo nicht mehr. Versammlun­gen hinter verschloss­enen Türen und endlosen Fachkonfer­enzen folgen aufeinande­r und bringen keine Entscheidu­ngen. Sechs Monate vor der Europawahl haben wir die Möglichkei­t, zu beweisen, dass Europa den Alltag der Europäer verbessern kann. Nutzen wir sie. Es ist Zeit. Bruno Le Maire ist Finanzmini­ster der Republik Frankreich.

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