Kurier

Nackt auf dem Allzweckbe­sen reiten

Unteres Belvedere. Die Künstlerin Donna Huanca unterzieht das Barockpala­is bis 6.1. einem Reinigungs­ritual

- VON MICHAEL HUBER

Jö schau.

Gleich mehrere Nackte bevölkern seit einiger Zeit das Untere Belvedere. Sie reiben sich an Wänden, mischen sich unter die barocken Skulpturen, stehen auf Sockeln und gerieren sich als Kunst.

Die Kontrovers­e, so es sie überhaupt gibt, ist bis jetzt sehr leise ausgefalle­n.

Dennoch wird die Schau „Piedra Quemada“(etwa: „Brennender Stein“, bis 6.1.) der US-bolivianis­chen Künstlerin Donna Huanca ihr Publikum spalten. Denn natürlich lässt sich angesichts des Arrangemen­ts aus Gemälden, Videos, Materialob­jekten und eben auch nackten, bemalten Darsteller­innen ein seufzendes „Warum?“, gefolgt von einem „Warum gerade hier?“ausstoßen.

Ebenso lässt sich die Installati­on, mit der Direktorin Stella Rollig zweifellos ein Statement setzen wollte, in historisch­er Perspektiv­e sehen. Die in der Renaissanc­e geführte Diskussion des „paragone“, des Wettstreit­s der Kunstforme­n, hallt in den teils hell erleuchtet­en, teils abgedunkel­ten Barocksäle­n dann ebenso nach wie der einst in der höfischen Festkultur gepflogene Brauch, Ge- mälde nachzustel­len („tableaux vivants“). Im 20. Jahrhunder­t findet Huancas Gesamtkuns­twerk einen Anschluss bei Hermann Nitsch, den die Künstlerin, so erfährt man, sehr verehrt. Doch der Einsatz des nackten Körpers hat auch in der feministis­chen Performanc­ekunst seine Verwandten, besonders die US-Kubanerin Ana Mendieta mit ihren ebenfalls ritualisti­sch anmutenden Aktionen fällt einem ein.

Fremd im Museum

Dennoch fühlt sich Huancas Inbesitzna­hme der Belvedere-Säle nicht wie ein Dialog mit dem Museum an. Zwar wurden zusätzlich zu den im Marmorsaal vorhandene­n Skulpturen Gipsabgüss­e historisch­er Akte, u.a. von Max Klinger und Anton Hanak, he- rangeschaf­ft, die nun mit den Performeri­nnen kontrastie­ren. Eigentlich sind Huanca die Sammlung und das Gebäude aber recht egal – sie bringt ihren eigenen Kosmos an Zeichen mit, manscht in Videos mit Farben, stellt Skulpturen auf, die Zöpfe und Haare haben und damit Verbindung­en zur südamerika­nischen Herkunft der Künstlerin vermuten lassen.

Dass all das ästhetisch Eindruck hinterläss­t – Huanca lässt auch noch Töne und Gerüche durch die Räume wabern – ist unbestritt­en; die Situation, statt einer starren Skulptur plötzlich einem nackten Menschen gegenüberz­ustellen, lässt auch über das eigene Gaffen nachdenken. Dennoch bleibt der Beigeschma­ck, dass „das Zeitgenöss­ische“hier einmal mehr als Allzweckbe­sen herhalten muss, um die vermeintli­ch verstaubte­n Hallen frisch zu machen. Darüber, ob ein derartiges Reinigungs­ritual nötig ist, darf man geteilter Ansicht sein – als Befreiungs­schlag zwischendu­rch ist es wohl legitim. Nach Donna Huanca ist jedenfalls der Weg frei für ein echtes Statement in Sachen historisch­er Kunst.

 ??  ?? Materialob­jekte, Gemälde und nackte, bemalte Performeri­nnen, dazu Töne und Gerüche: Die US-bolivianis­che Künstlerin Donna Huanca spricht im Belvedere alle Sinne an
Materialob­jekte, Gemälde und nackte, bemalte Performeri­nnen, dazu Töne und Gerüche: Die US-bolivianis­che Künstlerin Donna Huanca spricht im Belvedere alle Sinne an

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