Wolfgang Herbst,
Erinnerungen an eine Soldaten- und Beamtenkarriere
urz lässt er an diesem Vormittag von seinem Kaffeehäferl ab, um den Leuten von der Zeitung diese eine, diese geniale Antwort zu geben. Auf die Frage, wie es ihm geht, erklärtWolfgangHerbstwahrheitsgemäß:„ könntebesser gehen.“Danach widmet er sich wieder seinem geliebtenFrühstückskaffee.
Seine Antwort ist nicht nur wahrheitsgemäß (seit seinem 100. Geburtstag spricht er nur mehr sehr wenig), sie lässt auch Raum fürInterpretation. Vielleicht wollte er auch sagen: „Was für eine Frage, sehen Sie nicht, wie es mir geht?“
Seine Lieblingspflegerin im Haus Hetzendorf, einer Einrichtung des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser, beendet das Schweigen. Indem sie auf sein Hemd aufmerksammacht. Herr Herbst trägt heute ein schönes blaues Hemd. Und sie erzählt, dass der Bewohner auf der Station „Orchidee“noch immer Wert auf ein gepflegtes Äußeres lege.
Dies kann Sohn Helmuth, Jahrgang 1940, nur bestätigen. Sein Vater hat nach 1945 eine schöne Beamtenkarriere im Kontrollamt der Stadt Wien hingelegt, die ihnalsOberamtsrat in Pension gehen ließ. „Zuhause war mein Vater eherlegergekleidet, aberals Beamter musste er schon etwas repräsentieren.“
Diener dreier Staaten
Sein Vater hat in drei verschiedenen Staaten gedient: nach der Matura im Jahr 1935 in der GoetheRealschule in der Astgasse wurde der Jüngste von drei Brüdern Soldat im„Ständestaat“, in erster Linie deshalb, weil es beim Heer zumindesteinMalproTageine warme Mahlzeit gab. Nach dem „Anschluss“im März 1938 musste er die Uniform wechseln. Als Ausbildner in der Deutschen Wehrmacht arbeitete er bis zum Kriegsende für die Luftwaffe. Bevor die Amerikaner am 11. April1945diebayrische Stadt Schweinfurt einnehmen konnten, hatWolfgang Herbst jene Barackensiedlung in Brand gesteckt, die zuvor für Schulungszwecke gedient hatte.
DieRückkehr nachWien über Münchenwar anstrengend und dauerte mehrere Monate. KannsichseinSohn noch dunkel erinnern. In Wien konnte die Familie das Reihenhaus am Küniglberg wieder beziehen. Und der Soldat wurde Gemeindebediensteter, zunächst im 24. Bezirk(Mödling), derim Jahr 1954 aufgelöst und dem Land Niederösterreich zugesprochenwurde.
Vor acht Jahren zog der Zeitzeuge mit seiner Frau Mariahier imSeniorenwohnheim ein. In ein Doppelzimmer. Nur zwei Jahre später bezog er ein Einzelzimmer. Ist in der Stationsleitung dokumentiert. Weil seine geliebte Frau und sorgsame Mutter seinesSohnsund seiner Tochter verstorben war. Er bittet jetzt um eine zweite Tasse Kaffee. Kaffee ist seine letzte große Leidenschaft. Dabei wird auch der Schelm in seinem Gesicht wieder sichtbar. Wie sagte er doch genau auf den Punkt gebracht? „Es könnte besser gehen.“