Namenlos, aber uralt: Österreichs erste Heilige entdeckt
Archäologie-Krimi. 1800 Jahre alt und Opfer der Christenverfolgung: HightechUntersuchungen an Reliquien-Knochen klärenColdCase aus den 1990ern.
„Eine Sternstunde ihres Archäologen-Lebens“– so nennt Sabine Ladstätter die Entdeckung: Anfang der 1990er-Jahre war sie – noch als Studentin – beteiligt, als unter dem Altar der Kirche am Hemmaberg in Kärnten ein Reliquienschrein mit einem fast vollständigen Skelett auftauchte. „Die Funde ließen mich nie mehr los, zu viele Fragen waren offen- geblieben“, schreibt die Leiterin des Österreichischen Archäologischen Instituts der Akademie der WissenschafteninihremneuenBuch Die Heilige vom Hemmaberg. Cold Case einer Reliquie.
Wie der Titel bereits erahnen lässt, ist es ihr gemeinsam mit Kollegin und Co-AutorinMichaela Binder gelungen, die offenen Fragen zu klären: Seit 2016 untersuchteeininterdisziplinäresTeam den Reliquienfund. Mit neuestenwissenschaftlichenMethoden – wie Isotopenuntersuchungendermenschlichen Knochen und einer C14-Analyse – konnten die Wissenschaftler belegen, dass die Frau, die am Hemmaberg verehrt wurde, in der Zeit der frühen Christenverfolgungen hier lebte und im ersten oder zweiten Jahrhundert starb. Damit ist sie die älteste HeiligeÖsterreichs.
Wer siewar, ist nach wie vor unbekannt. Allerdings wissen die Forscher durch bioarchäologische Untersuchungen, dass sie von Kindheit an unter Krankheiten litt und schwer gearbeitet haben muss. Obwohl die Nische später beraubt und zerstört wurde, sind Ladstätter und Binder sicher, dass die Frau im Alter zwischen 35 und 50 Jahren verstorben ist – lange, ehe sie am Hemmaberg als Heilige verehrt wurde.
Keine Heiligenlegende
Zwar lässt sich die TodesursacheausdemSkelettnicht ableiten, für die Gläubigen war sie aber offenbar den Märtyrertod gestorben, der ihren menschlichenÜberresten spirituelle Kraft verlieh. Eine Heiligenlegende, die ihre Todesumstände oder ihren Namen beschreibt, ist aber nicht überliefert.
Der Hemmaberg in Kärnten war im 6. Jahrhundert ein florierender christlicher Wallfahrtsort mit intensiven Verbindungen nach Oberitalien. DerstarkeZustroman Pilgern gipfelte im Neubau von zwei Doppelkirchenanlagen, zahlreichen Pilgerunterkünften und Nebengebäuden. Da die Bedeutung frühchristlicher Pilgerheiligtümer unmittelbar mit der Strahlkraft der dort verehrten Heiligen verbunden war, wurden auch am Hemmaberg mehrere Kirchen mit Reliquien ausgestattet.
Lange dauerte die Heiligenverehrung dort aber nicht: Um 600 kamen die damals noch heidnischen Slawen und zerstörten den Wallfahrtsort.
INFO „Die Heilige vom Hemmaberg“, herausgegeben von den ÖAWArchäologinnen Sabine Ladstätter und Michaela Binder, Verlag Holzhausen.