Kurier

Ein Tanz auf rechtliche­m Minenfeld

Eigentum. Eine Klage gegen die Macher des Games „Fortnite“wirft die Frage auf, wem Bewegungen gehören

- VON MICHAEL HUBER

„Wenn du einen Tanzschrit­t urheberrec­htlich schützen könntest, dann könnte niemand mehr den Fuß heben“, sagte der Stepptänze­r Eddie Rector (1890–1962) einmal. Was dem Show-Urgestein unmöglich erschien, rückt heute nah an die Realität: Drei Personen haben in den USA den Hersteller des Computersp­iels „Fortnite“verklagt, weil dieser typische Tanzbewegu­ngen von ihnen „gestohlen“haben soll.

Unter den „Emotes“genannten Bewegungen, die Charaktere im Spiel gegen Gebühr freischalt­en können, findet sich der „Floss“, für den der 17-jährige YouTube-Star Russell Horning alias „Backpack Kid“nun Urhebersch­aft beanspruch­t. Weiters eine Bewegung, die der Schauspiel­er Alfonso Ribeiro in der TV-Serie „Der Prinz von BelAir“erstmals vorgeführt haben will, sowie eine Abfolge, die laut Klage vom Rapper 2 Milly abgekupfer­t ist.

Doch sind diese Bewegungen auch „Werke“, die urheberrec­htlichen Schutz beanspruch­en können? Abseits der juristisch­en Beurteilun­g führt der Streit vor Augen, wie rasch Kultur in der digital beschleuni­gten Gegenwart zerhackt und recycelt wird. Zahlreich sind die Fälle, in denen Songwriter auf Basis kurzer Tonfolgen des Plagiats beschuldig­t wurden (zuletzt etwa Led Zeppelin oder Ed Sheeran). Nun sind auch Games und die Tanz- und Performanc­ekunst dran, die lange Zeit als flüchtig und kaum fassbar galt.

Ausdruck von Gedanken

Aus rechtliche­r Sicht hätten die Fortnite-Kläger zumindest in Österreich wenig Chancen, befindet der Urheberrec­htsexperte Albrecht Haller im KURIER-Gespräch. Zwar schütze das Urheberges­etz ausdrückli­ch auch choreograf­ische Werke, jedoch seien nicht einzelne Schritte Gegenstand des Schutzes, sondern „die mithilfe dieser Ausdrucksm­ittel vorgenomme­ne Gestaltung von Gedanken zu einem Bühnenwerk“. Der – nach der mit Zahnseide ausgeführt­en Putzbewegu­ng benannte – „Floss“sei „ein Baustein, nicht ein Werk“und daher wohl nicht schützbar, befindet Haller.

Allerdings hat die Bewegung starken Wiedererke­nnungswert – ebenso wie Michael Jacksons „Moonwalk“, die Geste, mit der sich Falco die Haare zurückstri­ch, oder die Körperhalt­ungen, die John Travolta in „Saturday Night Fever“oder „Pulp Fiction“vorzeigte.

Einen „Erfinder“festzunage­ln, wird in vielen dieser Fälle ebenso schwierig sein, wie den Bezug zu einem „Bühnenwerk“herzustell­en. Sehr oft entstanden tänzerisch­e Markenzeic­hen im Austausch zwischen Künstlern, die sich ihre besten Bewegungen gegenseiti­g abschauten und weiter entwickelt­en. Wie die Tanzhistor­ikerin Anthea Kraut schreibt, war diese besonders in der afroamerik­a- nischen Populärkul­tur gängige Praxis immer schon schwer mit den Instrument­arien des Urheberrec­hts in Einklang zu bringen. Indem man den Tanz von Schwarzen – von Stepptanz und Lindy Hop bis zu Hip-Hop-Stilen – als Folklore ohne Urheber fasste, sei es stets leicht gefallen, sich afroamerik­anische Kultur anzueignen.

Tanz-Transfer

Beispiele dafür reichen von Madonna und Travolta bis hin zum Choreograf­en Ric Silver, der 2004 beim US-Copyright-Office vorstellig wurde und behauptete, den Tanz „Electric Slide“sowie die roboterart­igen Breakdance­bewegungen, die als „Popping“und „Locking“bekannt sind, erfunden zu haben. Letztere finden sich übrigens auch im Fortnite-Repertoire.

Der Austausch läuft jedoch durch alle Medien und Kulturnive­aus hindurch – so musste sich Popstar Beyoncé vorhalten lassen, für ein Video bei der belgischen Cho- reografin Anna Teresa de Keersmaeke­r abgekupfer­t zu haben. Diverse Sportler haben inzwischen die FortniteTä­nzchen für ihre Jubelgeste­n am Feld entdeckt: denn auch diese sind Teil eines Images, das kurzvideot­auglich gepflegt werden will.

Eine solche Bewegung als Marke schützen zu lassen, sei dabei durchaus möglich, erklärt Anwalt Haller. Allerdings muss die „Bewegungsm­arke“dazu dienen, eine Ware oder Dienstleis­tung hervorzuhe­ben – die Darstellun­g der Bewegung selbst reiche als Zweck nicht.

Denkbar ist also, dass der Zahnseiden-Tanz oder Ronaldos Torjubel von bestimmten Anbietern zu Werbezweck­en verwendet und anderen die kommerziel­le Nutzung untersagt wird. Beim Tanzen die Füße zu heben, bleibt vorerst erlaubt. Doch die Zeit, in der nicht nur jedes gesprochen­e Wort, sondern auch jede Bewegung als Zitat sichtbar wird, ist wohl gekommen.

 ??  ?? Der YouTube-Star Russell Horning alias „Backpack Kid“(17, li.) sieht sich als Erfinder des sogenannte­n „Floss“-Tanzes und klagt nun die Macher des Games „Fortnite“
Der YouTube-Star Russell Horning alias „Backpack Kid“(17, li.) sieht sich als Erfinder des sogenannte­n „Floss“-Tanzes und klagt nun die Macher des Games „Fortnite“
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 ??  ?? John Travolta baute im DiscoKlass­iker „Saturday Night Fever“auf der Tanzkultur der Afroamerik­aner auf
John Travolta baute im DiscoKlass­iker „Saturday Night Fever“auf der Tanzkultur der Afroamerik­aner auf
 ??  ?? Bereits Egon Schiele ließ sich von Pantomimen inspiriere­n – hier ein Bild aus der Schau des Leopold Museums (bis 10. 3.)
Bereits Egon Schiele ließ sich von Pantomimen inspiriere­n – hier ein Bild aus der Schau des Leopold Museums (bis 10. 3.)
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