Bilder ver-rückter Welten
HannahRieger über dieAußenseiterinnen in derAußenseiterkunst und ihr Interesse alsKunstsammlerin für dieKünstlerinnen der Art brut
Der Beginn ihrer Leidenschaftwar Gugging. Hannah Riegerist„Artbrut“-Sammlerin und besitzt die umfangreichste Gugging-Kollektion Österreichs. Beim Besuch einerAusstellungvonJohann Hauser und Oswald Tschirtner im 20er-Haus 1980 war sie von der Ausdruckskraft, von den ver-rückten Welten, vom unverwechselbar Authentischen der Arbeiten der Grenzgänger zwischen den Wirklichkeiten zugleich irritiert und fasziniert.
ObsessionundMission
Unverfälschte Kunst, jenseits aller Konventionen, Strömungen und Trends, entstand in der Psychiatrie.
Rieger zu einem Charakteristikum dieses Genres: „Art-brut-Künstler folgenimmer irgendeiner Obsession, einer Mission.“
Viele Künstlerwaren und sind beeindruckt von der besonderen Begabung dieser Patienten und suchten die kreative Auseinandersetzung: AlfredHrdlicka,E du ar dAng eli, Peter Pongratz, Franz Ringel, Loys Egg, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, André Helle rund andere waren früh an einer Auseinandersetzung interessiert. DavidBowiebe suchte Gugging im Jahr 1994.
Zuhause für die Kunst
WasindenletztenJahrenund Jahrzehnten zunehmend in den Fokus des Interesses von Sammlern, GalerienundMuseen gerückt ist, relativierte der Maler Arnulf Rainer, der Österreichs wahrscheinlich größte Art-brut-Sammlung besitzt:„Artbruthatesimmer schon gegeben. Sie wurde nur nicht gesehen und wahrgenommen.“
Hannah Rieger erstand 1991 ihre ersten Gugginger Bilder, um die weißen Wände ihrer Altbauwohnung in Glanzing zu beleben: „Aber eines Tages hab eich gemerkt: Die Welt ist größer als Gugging.“Mittlerweile umfasst die Sammlung der ehemaligen Bankdirektor in und nunmehrigen Firmen beraterin rund 400 Werke der Art brut. UndWohnen hat für sie heute in erster Linie die Bedeutung, dass die Kunst ein Zuhause hat.
Seit einiger Zeit betreut sie zum Thema nicht nur Ausstellungen im In-und Ausland, sondern sagt differenzierend :„ Ich lebe heute nicht mehr nur mit, sondern in dieser Kunst.“
Männerwelt Gugging
Das Frauen-Thema begleitet sie schon lebenslang. Und ihr besonderes Interesse gilt der weiblichen Seite der Art brut. „Außerdem hat meine Mutter, eine Frauenrechtlerin, immer die Frauen in meiner Sammlung eingefordert und darauf geschaut, dass ich die Frauen nicht vergesse“, sagt Hannah Rieger im KURIER-Gespräch.
Aber die psychiatrische Abteilung in Gugging mit Künstlern wie Johann Hausner und Oswald Tschirtner war lange ein reinesMännerprojekt.
Rieger: „Allmählich habe ich begonnen, mich zu internationalisieren und von Gugging zu emanzipieren.“
Die einzige derzeit in Gugging lebende Künstlerin ist Laila Bachtiar. Ihr Werk – prominent in Riegers Sammlung vertreten – war in Auszügen auch bis Februar in der Ausstellung „Frauen in der Art Brut?“des Österreichisches Kulturforums Brüssel im Privatmuseum Art et Marge in der belgischen Hauptstadt zu sehen.
Die beeindruckenden Werke der Außenseiterinnen der Außenseiterkunst stehen auch im Zentrum der von Rieger mitkuratierten Schau „Flying High“(15. 2.–23. 6.) im KunstforumWien.
Auch da wird explizit darauf hingewiesen: Eine Geschichte der Kunst von Frauen ist stets eng mit der Emanzipationsgeschichte verwobenundgestaltetsichimFalle der Art brut umso prekärer.
Erst bei den Vorbereitungen zur Ausstellung habe sie eine Ahnung davon bekommen, wie viele Schätze dieser Kunstgattung es noch zu entdecken gibt.
„Am Anfang dachten wir: Gibt es nicht zu wenige Künstlerinnen? Was aber nicht der Fall ist. Es gibt fantastische Art-brut-Werke von Frauenweltweit“, sagt sie.
„Die echteKunst ...“
Die Arbeiten der Schweizerin Aloise Corbaz (1886– 1964), „der vielleicht bedeutendsten Art-brut-Künstlerin überhaupt“, oder die Objekte der mit Downsyndrom geborenen Amerikanerin Judith Scott (1943–2005), einer Faserbildhauerin, sind international gefragt und erzielen längst Top-Preise am Kunstmarkt.
Wie sich die Zeiten ändern.„DieechteKunstiststets dort, womansie nicht erwartet. Wo niemand an sie denkt, noch ihren Namen nennt“, schrieb 1949 der französische Künstler Jean Dubuffet (1901–1985). Er gilt als Schöpfer des Begriffs „Art brut“.
Und was macht die so als roh und unverfälscht definierte Kunst aus den Psychiatrien so einzigartig?