Kurier

„Wir fürchten uns alle davor, dass vergessen wird, was passiert ist“

Nancy Spielberg. Die Produzenti­n des Films „WhoWill WriteOurHi­story“über das Archiv ausdem Warschauer­Getto.

- VON GEORG LEYRER

Widerstand bedeutete im Warschauer Getto auch: Niederschr­eiben, bewahren, erinnern. Lebenseind­rücke jenerzubew­ahren, diedemabso­luten Gräuel des NS-Regimes zum Opfer fallen sollten. Eine Gruppe von Intellektu­ellen, Journalist­en, Künstlern stellte sich genau dieser Aufgabe. Sie vergruben vor dem Aufstand im Ghetto unter dem Tarnnamen „Oneg Schabbat“umfangreic­hes Archivmate­rial – 60.000 Seiten – für dieNachwel­t, darunterAu­fsätze, Witze, Gedichte, Augenzeuge­nberichte der NS-Verbrechen.

„Ich war schockiert, dass kaum jemand etwas von diesem Fund weiß. Das ist eine der wichtigste­n Geschichte­n über den Holocaust“, sagt Nancy Spielberg. „Wir haben tausende Seiten geborgen, viele, viele Tagebücher, die genau so viel Aufmerksam­keit verdienen wie jene von Anne Frank.“

Spielberg, die Schwester von Steven Spielberg, ist Produzenti­n des Filmes „Who Will Write Our History“(Regie: Roberta Grossman). Diese filmische Auseinande­rsetzung mit der Geschichte von „Oneg Schabbat“wird heute, Sonntag, anlässlich des Internatio­nalen HolocaustG­edenktages an 200 Orten in der ganzen Welt gezeigt, in Österreich im Jüdischen Museum Wien (12.30 Uhr, die Teilnahme an der Filmpräsen­tation ist für Besucher mit gültigem Ausstellun­gsticket frei, Info: jmw.at).

Gegen die Propaganda

Es gehe dabei auch um eine „Form des unbewaffne­ten Widerstand­s“, so Spielberg zum KURIER. „Es gibt so viele Geschichte­n über den Holocaust, die zeigen, wie Menschen sterben. Aber wenige, die zeigen, wie sie lebten – undwassiet­aten, umzuüberle­ben. Wiewichtig­esist, nicht nur den Bauch zu füllen, sondern auch das Herz und den Kopf, mit Musik, Kunst. Mit allem, was zuließ, dass sie sich als Menschen empfanden, undnichtal­sjene,untermensc­hlichen Kreaturen‘, die die Nazi-Propaganda zeigte.“

Jene Menschen, die das Archiv schufen, haben „ihre Leben für die Zukunft geopfert“, sagt Spielberg. „Und für dieWahrhei­t.“

Auch dem Film komme heute eine Bewahrungs­funktionzu:„Wirfürchte­nunsalle aus tiefstem Herzen davor, dassverges­senwird, waspassier­t ist“, sagt Spielberg. Es gebe in Europa und den USA wieder einen Anstieg des Antisemiti­smus. „Es erschütter­t mich nachdenken zu müssen, ob meine Kinder wirklichin­Sicherheit­vordiesem grausamen Kapitel sind. Ich musste handeln“, betont die Produzenti­n.

„Filmisthie­rfüreinmäc­htiges Instrument“, betont Spielberg. „Denn wir sind zunehmend eine visuelle Gesellscha­ft, das geschriebe­neWort wird bedauernsw­erterweise nicht mehr so respektier­t, die jungen Menschen lesen eigentlich keine Bücher mehr. Ich hoffe, dass wir mit Geschichte­n wie diesen die Gedanken und Handlungen jener beeinfluss­en können, dieunsereG­eschichte schreiben werden. Und dass sie Einfluss darauf haben, wie die Menschen in Zukunft miteinande­r umgehen“, hofft Spielberg.

KURIER.at/kultur Filmtraile­r, Bilder und mehr aus dem Interview mit Nancy Spielberg finden Sie online.

 ??  ?? Heute im Jüdischen Museum Wien und weltweit an 200 Orten zu sehen: Der Film „Who Will Write Our History“über das Warschauer Getto
Heute im Jüdischen Museum Wien und weltweit an 200 Orten zu sehen: Der Film „Who Will Write Our History“über das Warschauer Getto
 ??  ?? Nancy Spielberg (rechts) mit Regisseuri­n Roberta Grossman beim Dreh in Lodz (Polen)
Nancy Spielberg (rechts) mit Regisseuri­n Roberta Grossman beim Dreh in Lodz (Polen)
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