„Wir fürchten uns alle davor, dass vergessen wird, was passiert ist“
Nancy Spielberg. Die Produzentin des Films „WhoWill WriteOurHistory“über das Archiv ausdem WarschauerGetto.
Widerstand bedeutete im Warschauer Getto auch: Niederschreiben, bewahren, erinnern. Lebenseindrücke jenerzubewahren, diedemabsoluten Gräuel des NS-Regimes zum Opfer fallen sollten. Eine Gruppe von Intellektuellen, Journalisten, Künstlern stellte sich genau dieser Aufgabe. Sie vergruben vor dem Aufstand im Ghetto unter dem Tarnnamen „Oneg Schabbat“umfangreiches Archivmaterial – 60.000 Seiten – für dieNachwelt, darunterAufsätze, Witze, Gedichte, Augenzeugenberichte der NS-Verbrechen.
„Ich war schockiert, dass kaum jemand etwas von diesem Fund weiß. Das ist eine der wichtigsten Geschichten über den Holocaust“, sagt Nancy Spielberg. „Wir haben tausende Seiten geborgen, viele, viele Tagebücher, die genau so viel Aufmerksamkeit verdienen wie jene von Anne Frank.“
Spielberg, die Schwester von Steven Spielberg, ist Produzentin des Filmes „Who Will Write Our History“(Regie: Roberta Grossman). Diese filmische Auseinandersetzung mit der Geschichte von „Oneg Schabbat“wird heute, Sonntag, anlässlich des Internationalen HolocaustGedenktages an 200 Orten in der ganzen Welt gezeigt, in Österreich im Jüdischen Museum Wien (12.30 Uhr, die Teilnahme an der Filmpräsentation ist für Besucher mit gültigem Ausstellungsticket frei, Info: jmw.at).
Gegen die Propaganda
Es gehe dabei auch um eine „Form des unbewaffneten Widerstands“, so Spielberg zum KURIER. „Es gibt so viele Geschichten über den Holocaust, die zeigen, wie Menschen sterben. Aber wenige, die zeigen, wie sie lebten – undwassietaten, umzuüberleben. Wiewichtigesist, nicht nur den Bauch zu füllen, sondern auch das Herz und den Kopf, mit Musik, Kunst. Mit allem, was zuließ, dass sie sich als Menschen empfanden, undnichtalsjene,untermenschlichen Kreaturen‘, die die Nazi-Propaganda zeigte.“
Jene Menschen, die das Archiv schufen, haben „ihre Leben für die Zukunft geopfert“, sagt Spielberg. „Und für dieWahrheit.“
Auch dem Film komme heute eine Bewahrungsfunktionzu:„Wirfürchtenunsalle aus tiefstem Herzen davor, dassvergessenwird, waspassiert ist“, sagt Spielberg. Es gebe in Europa und den USA wieder einen Anstieg des Antisemitismus. „Es erschüttert mich nachdenken zu müssen, ob meine Kinder wirklichinSicherheitvordiesem grausamen Kapitel sind. Ich musste handeln“, betont die Produzentin.
„Filmisthierfüreinmächtiges Instrument“, betont Spielberg. „Denn wir sind zunehmend eine visuelle Gesellschaft, das geschriebeneWort wird bedauernswerterweise nicht mehr so respektiert, die jungen Menschen lesen eigentlich keine Bücher mehr. Ich hoffe, dass wir mit Geschichten wie diesen die Gedanken und Handlungen jener beeinflussen können, dieunsereGeschichte schreiben werden. Und dass sie Einfluss darauf haben, wie die Menschen in Zukunft miteinander umgehen“, hofft Spielberg.
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