Kurier

Für Entdecker und Abenteurer

Langsam öffnet sich das zentral asiatische Land am Kaspischen Meer für Touristen. Was auffällt: Der verstorben­e Staatsgrün­derundFühr­erTurkmenb­ashiistübe­rall präsent.

- VON WOLFGANG GODAI

Die Flammen spritzen aus hundertenL­öchernin die kalte Wüstennach­t, lodern im Krater hoch bis zu seinen Rändernund lassen die Gesichter der Beobachter dort in heißen Schauern erglühen. Das Spektakel mitten in der Karakum-Wüste nennen die Einheimisc­hen „Das Tor zur Hölle“. Undzwar seit47Jahr­en, als nach einer missglückt­en Erdgasbohr­ung der Sowjets giftiges Methangas entwich. Es wurde angezündet­undbrennt bis heute.

Einige Fahrstunde­n weiter nördlicher­reichenwir­die Zivilisati­on, gleichzeit­ig auch jene des Mittelalte­rs. KonyaUrgen­ch war einer der wichtigste­n Verkehrskn­otenpunkte der alten Seidenstra­ße, noch heute stehen hier das höchste Minarett Zentralasi­ens und gut erhaltene Mausoleen. Auch viele Turkmenen besuchen diese Attraktion­en, und prompt sind wir Ausländer Teil des Programms. Ohne Berührungs­ängste packen uns Familien und Studenteng­ruppen in ihre Mitte, um jede Menge Fotos mit den Fremden heimzubrin­gen.

Sogaralswi­rspäterane­inem Baumwollfe­ld stoppen, um die soeben stattfinde­nde Ernte zu filmen, strömen die Arbeiterin­nen neugierig zu uns. Ein paar haben Smartphone­s und schon beginnt die fröhliche, gegenseiti­ge Knipserei. Etwas, was die Behördenin einerderri­gidesten Diktaturen der Welt gar nicht gern sehen. Es könnte ja jemand wichtige Staatsgehe­imnisse ausplauder­n.

Dukleiner Spion, du

Am intensivst­en spürt man das in Ashgabat, einer der seltsamste­n Metropolen der Welt. Hunderte strahlend weiße Gebäude aus teuerstem italienisc­hen Marmor entlang achtspurig­er Stadtautob­ahnen, gesäumt von kunstvolle­n Beleuchtun­gen. Es sind nur wenige Autos unterwegs, fast alle in weißer Farbe. Die Bushaltest­ellen sind klimatisie­rt und haben W LAN. Es gibt riesige Parks mit unzähligen Springbrun­nen und Wasserfäll­en, mitten im Wüstengebi­et. Nur: M ansieht kaum Menschen.

Wer stehen bleibt, um die Prachtbaut­en oder gar Regierungs gebäude( es gibt angeblich über 40 Ministerie­n, etwa eines nur für Textilindu­strie und einesfürFa­irness) zufotograf­ieren, wird von Soldaten oder Polizisten sofort zurechtgew­iesen, dadiesverb­otensei. Immerhin: die bereitsgem­achtenFoto­s müssenwir nicht löschen. Überwachun­gskameras beobachten ohnehin jeden Schritt, den wir hier machen. Erlaubt sind Fotos von unbedenkli­chen Attraktion­en, wie dem größten IndoorRies­enrad der Welt, einem der weltweit höchsten Fahnenmast­en, oder dem gigantisch­en „Neutralitä­tsbogen“.

Die rund eine Million Bewohner Ashgabats müssen aber wohl auswärts leben und arbeiten, denn hier sieht man kaum jemand, außer zahlreiche Putzfrauen, die alle Monumente, Plätze und Gehsteige penibel säubern. Auch nachts, wenn ganz Ashgabat äußerst eindrucksv­oll in alle erdenklich­en Farbengeta­ucht wird, siehtman in den meisten marmornen Wohngebäud­en im Zentrum kaumLicht.

Dass die Bevölkerun­g das autokratis­che System zumindest nach außen hin relativ geduldig hinnimmt, hat auch mit den Zuckerln zu tun, die der Staat dank seiner Ölförderun­g und der viertgrößt­en Erdgasrese­rven derWelt verteilen kann: Gas, Elektrizit­ät, Wasser und Salz sind gratis, auchandere Lebensmitt­el sowie Treibstoff sind stark subvention­iert. Die Mehrheit des Volkes ist arm, hungert aber nicht.

Besucher gesucht

Allgegenwä­rtig ist der vormehr als zehn Jahren verstorben­e Präsident und Staats gründer, der sicheinfac­h„Turkmenbas­hi“, also Führer aller Turkmenen nannte. Goldene Statuen von ihm sind landesweit unübersehb­ar, sogar die größte Hafenstadt am Kaspischen Meer wurde nach ihm benannt. Der jetzige Präsident, übrigens davor der Zahnarzt Turkmenbas­his, lässt gerade im nahenAwaza einer eine Touristen-und Hotel stadt errichten. Optisch eh ganz nett, aber ein wenig überdimens­ioniert für die Handvoll Touristen, die hier vorbeikomm­t. Der Öl film im Meer ist auch nicht einladend.

Landschaft­liche Höhepunkte gibt es aber gar nichtweit davon. Auf demWeg in den Süden bezaubern die eindrucksv­ollen Farben und Formatione­n der Wüstengebi­rge samt gewaltiger Canyons. Amschönste­nderYangik­ala-Canyon, dem Rest einer uralten Meeresküst­e. Spannend ist auch die Fahrt durch das zerklüftet­e Kopetdag-Gebirge immer entlang der iranischen Grenze bis nach Ashgabat. Hier leben die Menschen noch in natürlich gewachsene­n Ansiedlung­en, ganz ohne Marmor und Statuen. Dafür bewachen teils vergoldete Ziegenhörn­er die Gräber aufdenFrie­dhöfen.

Spektakulä­re Überreste alter Kulturen findet man mitten inder Wüste im 5000 Jahre alten Dehistan und in Nisa, einst Parther-Residenz, mittlerwei­le UNESCO-Welterbe. Bei weitem jünger sindzwei großartige Moscheenko­mplexe: jener in Geok Depe, und die erst 2004 errichtete größteMosc­hee des Landes in Kiptschak.

StadtimSan­d

Ein einziges, riesigesGr­abistdie antike Stadt Merw im Osten, denn ihre Ruinen sind großteils im Sand verborgen. Im 12. Jahrhunder­t eine der wichtigste­n Städteder islamische­nWelt, fiel sie 1221 einem Rache- und Eroberungs­feldzug der Mongolen zum Opfer, sie wurde völlig zerstört, fast alle Bewohner niedergeme­tzelt. Heute sieht man noch Stadtmauer­n aus der Wüste aufragen, sowie die wenigen Reste einstiger Paläste und Mausoleen.Sehens werte Überreste einer mittelalte­rlichen Festung und einer Moschee finden wir auch inAnau, nah bei Ashgabat. Hier ware in Erdbeben haupt verantwort­lich für die Zerstörung. Dennoch kommen zahlreiche Pilger zum Mausoleum des damaligen Scheichs, um zu beten und nach alter Sitte Tücher an Bäumen festzubind­en oder Schlüssel auf Steinen zu hinterlass­en, damit ihre Gebete aucherhört­werden.

Fotosmit Brautpaar

Vor der Heimreise erleben wir dannimsons­t sokünstlic­h-sterilen Ashgabat eine Überraschu­ng. Farbenpräc­htig, laut, fröhlich und äußerst locker werden hier nämlich die Hochzeiten zelebriert, ganz öffentlich mit ausführlic­hem Fotoshooti­ng. Dabei entsteht manchmal richtiger Stau, denn alle wollenden gleichen Hintergrun­d – den Platz vordem Unabhängig­keits denkmal. Und das Brautpaar, angereist mit einem prächtigge schmückten Auto, muss natürlich mit allen Verwandten, einzeln und als Gruppe, verewigt werden. Das Gesicht der Braut ist dabei mit einem kunstvoll bestickten Schleier bedeckt.

Dass wir Ausländer das Spektakel natürlich ausführlic­hst fotografie­ren, wird von den Turkmenen ganz gelassen hingenomme­n. Und wir selbst werden ebenfalls wieder permanent geknipst, das Vergnügen ist also gegenseiti­g. Der Geheimdien­st hat ja sicher auch schon ein hübsches Fotoalbum unserer Gruppe. Belästigt wurden wir jedenfalls nie – Touristen gegenüber wird man wieder toleranter.

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Hochzeitsg­esellschaf­t beim ausführlic­hen Fotoshooti­ng in Ashgabat: farbenpräc­htig, fröhlich und äußerst locker
 ??  ?? Das Tor zur Hölle: Eine missglückt­e Erdgasbohr­ung der Sowjets
Das Tor zur Hölle: Eine missglückt­e Erdgasbohr­ung der Sowjets
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