Kurier

Besser amoi z'vü...

- JULIA SCHRENK julia.schrenk@kurier.at

Es war an einem Herbsttag im Oktober. Ich war zu Fuß auf dem Weg nach Hause, als ich hörte, wie sich eine Frau und ein Mann lautstark stritten. Das Fenster ihrer Wohnung im Hochparter­re stand zur Straße hin offen. Als ich mich näherte, bemerkte ich einen jungen Mann auf dem Fahrrad. Angesichts der Schreierei wurde er langsamer und gesellte sich zu mir. Unschlüssi­g – auch ob der Sprachbarr­iere –, was wir jetzt am besten tun sollten, hörten wir noch eine Weile zu und versuchten, das Gehörte zu interpreti­eren. Streiten die nur, weil sie einander furchtbar auf die Nerven gehen? Oder handelt es sich dabei um eine handgreifl­iche Auseinande­rsetzung?

Dass die Österreich­er keine Ahnung haben, wie sie in solchen Situatione­n reagieren sollen, zeigt die neue Studie des Austrian Institute of Technology: Nicht einmal jeder 70. schreitet (siehe oben) ein.

Das ist ein Problem, aber nicht weiter verwunderl­ich, wenn der Rasiererhe­rsteller Gillette nach einer Werbung, in der toxische Männlichke­it kritisiert wird, einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt ist. In der Werbung thematisie­rt Gillette sexuelle Belästigun­g von Männern an Frauen und Mansplaini­ng (die fälschlich­e Annahme eines Mannes, dass er etwas besser wisse, als eine Frau, Anm.). „Ist das die beste Version eines Mannes?“– fragt Gillette in Anlehnung an den langjährig­en Werbespruc­h der Firma „Für das Beste im Mann“. Und zeigt dann die tatsächlic­h beste Version eines Mannes: Der Typ, der einschreit­et, wenn eine Frau blöd angemacht wird. Der Papa, der einen Streit schlichtet, anstatt ihn anzustache­ln. Der Bub, der sich trösten lassen darf und nicht stark sein muss.

Buben- und Männerarbe­it ist das, wo wir ansetzen müssen. Solange sich kein weniger aggressive­s Bild von Männlichke­it durchgeset­zt hat, dürfen wir uns, wenn jemand lautstark bei offenem Fenster streitet, nicht denken: „Nur ned einmischen.“Wir müssen uns denken: „Besser amoi z'vü, ois amoi zweng“– hinschauen nämlich. Und einschreit­en. Im eingangs erwähnten Fall war das übrigens doch nicht nötig. Die beiden haben einfach aufgehört, sich anzubrülle­n.

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