Die Mensch gewordene Niedertracht als Folklore
Kritik. „Quasi Jedermann“im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten. Eine Fehlinterpretation.
Das haben sich Carl Merz und Helmut Qualtinger nicht verdient. Die beiden genialen Autoren würden sich vermutlich im Grab umdrehen.
„Quasi Jedermann“, eine musikalisch-szenische Collage, eine Art Revue mit dem Untertitel „Helmut Qualtinger, der Menschenimitator“, wurde am Freitag im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten uraufgeführt.
Die Regisseurin Christina Tscharyiski – von ihr und Julia Engelmayer stammt das Konzept – hat schon einmal collagiert: Stefanie Sargnagels Texte in „Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis“im Rabenhof.
Diesmal sind Szenen und Travnicek-Dialoge, unter anderem „Der Menschen Würde ist in Eure Hand gegeben“, miteinander verschwurbelt, das Goldene Wiener Herz mit dem TexasG’wandl der Pop-Band Wiener Blond, die erst ganz am Ende ein Qualtinger-Medley spielt – mit dem „G’schupften Ferdl“, dem „Bundesbahnblues“und dem Papa, der’s schon richten wird.
Sonst gibt’s allzu viel Larifari mit gut gemeinten aktuellen Bezügen, die aber keinen Biss haben und im seichten Raunzen versanden. Da ist Hinzugeschriebenes, merkwürdig Unpassendes, Querulatorisches über die mitwirkenden „Pief ke“und „Weiber“und allzu Bekanntes vereint.
Und damit beginnt das Dilemma dieser Produktion, die so improvisiert und in ihrem durchgängig lapidaren Tonfall schon fast läppisch wirkt, als käme sie geradewegs aus der Theaterwerkstatt.
Nur Hannah Binder und Josephine Bloéb – meist unnötig schrill und grell und wie auf Speed – outrieren und schreien einander über die Maßen an. Warum? Man weiß es nicht. Die EnsembleMitglieder Tim Breyvogel und Tobias Artner plagen sich ab beim Abarbeiten eines großen Erbes, geben Burschenschafter am Würstelstand, Besucher beim Heurigen, Rosenverkäufer ...
Das Original im Kopf
Der „Herr Karl“, das Porträt der Mensch gewordenen Niedertracht, ist Österreich-Kulturerbe und aktueller denn je: Jeder Schauspieler träumt davon und jeder weiß, dass er vom ersten Satz an zum Scheitern verurteilt ist. Weil jeder das Original – Qualtinger – dabei im Kopf hat.
Hier ist der Monolog auf sechs Darsteller aufgeteilt. Und wie Michael Scherff die längste Passage so beiläufig und nebenher aufsagt, ist ärgerlich. Auch Qualtingers Herr Karl, Opportunist und Mitläufer, Fiesling und Gesinnungslump, ganz Abbild des deklassierten Wiener Kleinbürgers, sagt beiläufig die größten Ungeheuerlichkeiten, aber mit Präsenz und Prägnanz. Einer Eindringlichkeit, die „Quasi Jedermann“vermissen lässt.
An Helmut Qualtinger sind schon weit größere Kaliber gescheitert. Nur auf einem viel höheren Niveau. KURIER-Wertung: