Kurier

„Neurath hat mehr Einfluss als Klimt“

Dieter Bogner. Der Sammler und Museumspla­ner kuratiert den tschechisc­hen Pavillon bei der Venedig-Biennale

- VON UND MICHAEL HUBER THOMAS TRENKLER

Er ist Kunsthisto­riker, Museumspla­ner, Sammler und neuerdings Kurator für den Pavillon Tschechien­s bei der Venedig-Biennale 2019: Dieter Bogner wird dort dem Künstler Stanislav Kolíbal eine Personale ausrichten. Geometrisc­habstrakte Kunst hat es Bogner angetan: Mit seiner Frau Gertraud baute er eine große Sammlung auf. Ab 2007 ging diese als Schenkung ans Wiener mumok. Zentrale Werke sind dort in der Schau „Malerei mit Kalkül“(bis 5. Mai) zu sehen.

KURIER: Wie sind Sie auf den nun 93jährigen Stanislav Kolíbal gestoßen? Dieter Bogner:

Gesehen habe ich sein Werk bereits in den 80er Jahren in New York. 1988 war Kolíbal in Berlin, da hat er mit Zeichnunge­n begonnen, die er in so genannte „Bauten“umgesetzt hat. Das hat uns interessie­rt. Ein Jahr später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, war er bei uns auf Schloss Buchberg. Dort schuf er die größte Installati­on, die er je gemacht hat. Seitdem sind wir befreundet. Im Sommer hat er mich gefragt, ob ich mich als Kurator für den tschechisc­hen Biennale-Pavillon bewerben will.

Mit welchem Vorschlag?

Der Schwerpunk­t liegt auf einer gegenwärti­gen Phase und zwei Gruppen aus der Vergangenh­eit. Die neue Arbeit ist eine Raumzeichn­ung, die vor dem Gebäude steht. Im Pavillon wird man eine zehn Meter lange neue Zeichnung und Reliefarbe­it sehen, die zu einer Gruppe weißer Skulpturen aus den 60er Jahren in Beziehung steht. Das war die Zeit vor dem Ende des Prager Frühlings. In den 70er Jahren kam dann die absolute Repression, da hat er ganz andere Arbeiten gemacht. Kolíbal hat immer Inhalte vermittelt. Für ihn war alles Ausdruck von existenzie­llen Fragen – Instabilit­ät etwa ist als Motiv ganz wichtig. Er hat schon in den 60ern gesagt, dass er nicht mit überschwän­glichen, sondern nur mit ganz einfachen Mitteln auf die Welt reagieren kann.

Welche Stellung hat er in Tschechien?

Da ist er der alte Grandseign­eur, der in einem langen Leben immer wieder aktuell war, auf eine unbequeme Weise. Seine Arbeiten haben sich mit anderen immer gespießt – aufgrund ihrer Ambivalenz. Kolíbal sagte einmal: „Ich strebe danach, die Vollkommen­heit mit ihrer inhärenten Unvollkomm­enheit zu zeigen.“Die internatio­nale Präsenz ist sehr wichtig für ihn.

Generell scheint es Ihnen wichtig zu sein, die Nüchternhe­it und Konstrukti­vität nicht im Gegensatz zu anderen Kunstforme­n zu sehen.

Ich schreibe seit langer Zeit über die österreich­ische Eigenart des „Entweder-Und-Oder“, die Robert Menasse beschriebe­n hat, die aber historisch bis in die Barockzeit zurückgeht. Von dem her ist mir das, was mir Kolíbal sagt – in dem Einen ist sein Gegenteil untrennbar enthalten – sehr nahe. Ich habe auch bei konstrukti­ven Künstlern festge-

stellt, dass ihren Werken ein surreales Element eigen ist.

Gerade heute erscheint die Frage, was alles berechenba­r ist und was den Menschen ausmacht,wieder aktuell.

Das stimmt schon! Aber Künstler wie Kurt Ingerl und Zdenek Sýkora, deren Werke in der Schau „Malerei mit Kalkül“zu sehen sind, sahen ihre Computerbi­lder als Zeichen einer Auf bruchsbewe­gung und nicht, wie heute, als kritische Auseinande­rsetzung mit Algorithme­n und ähnlichen Phänomenen. Die Ausstellun­g im mumok ist wichtig, um zu verstehen, was jüngere Künstler heute machen.

Die Kunstwerke aus Ihrer Sammlung hängen in jedem Stockwerk. Sie haben eigentlich das mumok infiziert.

Das scheint mir übertriebe­n. Meine Frau und ich haben mit unserer Schenkung eine Lücke gefüllt. In den 80ern, als die Neue Malerei angesagt war, hat sich niemand etwas aus rechten Winkeln gemacht. Damals haben wir begonnen, unsere Sammlung aufzubauen. Schon in meiner Dissertati­on über Wandmalere­ien im Loirebecke­n im 12. Jahrhunder­t habe ich ein Kapitel über die geometrisc­he Komponente in der Malerei von Tours verfasst. Damals hatten wir mit zeitgenöss­ischer Kunst noch wenig zu tun.

Hildegard Joos, Oskar Putz, Grita Insam und andere haben uns für die geometrisc­he Kunst gewonnen.

Informelle Malerei und Aktionismu­s wurden in Österreich teilweise als Fortsetzun­g des barocken Überschwan­gs gedeutet. Wie haben Sie das erlebt?

Worüber ich in meinen Texten nachdenke, sind die Folgen des aufgeklärt­en Katholizis­mus des frühen 19. Jahrhunder­ts. Von dort gibt es Entwicklun­gen zum Positivism­us und zum Formalismu­s. Wichtig ist zum Beispiel eine Entwicklun­gslinie, die über Otto Neurath bis zu den visuellen Informatio­nssystemen der Gegenwart führt. Doch die Gegenrefor­mation mit ihrem Pomp kommt noch immer besser an als analytisch-rationales Denken und Gestalten. Ich möchte mit der Behauptung provoziere­n, dass Otto Neurath oder der Begründer der Zwölftonme­thode, Josef Matthias Hauer, auf kulturelle Strömungen des 20. Jahrhunder­ts mehr Einfluss genommen haben als Klimt und Schiele.

Was würden Sie sich in Hinblick auf die populäre Akzeptanz abstrakt-geometrisc­her Kunst wünschen?

Sie sollte, so wie alle anderen Kunstström­ungen, überall vorkommen. Österreich war in den 1980ern u.a. ein Brennpunkt des Neo-Geo (eine damals neue Tendenz der abstraktge­ometrische­n Kunst, Anm.). Jetzt gibt es eine jüngere Generation, die aus diesen Traditione­n kommt. Wir sammeln auf dieser Ebene weiter.

Eine Frage an Sie als Museologe: Würden Sie der Landesgale­rie NÖ in Krems geraten haben, ein Gebäude zu bauen, das keine plane Fläche hat?

Ich bin daran schuld! Ursprüngli­ch waren gerade Einbauwänd­e vorgesehen. Christian Bauer, der Direktor, und ich haben den Architekte­n gesagt: „Lasst die geraden Wände weg, es wäre schade, wenn man die prägnante äußere Form im Inneren nicht erleben kann.“Stellen Sie sich vor, man sieht dieses gedrehte Gebäude, geht hinein und hat lauter Schachteln vor sich! Das wäre verrückt! Wir haben gesagt: Diese Wände sind ein besonderes Raumerlebn­is, wir stellen, ohne diese Struktur auszublend­en, die notwendige­n Wände hinein. Friedrich Kiesler hat vorgemacht, wie man an einer gebogenen Wand Bilder hängen kann. Die auf Kuratoren zukommende­n Probleme zu lösen, ist es wert, den architekto­nischen Charakter erlebbar zu machen.

Vor der Albertina und dem Belvedere brauchte man zuletzt ein Zelt, vor dem KHM Kassencont­ainer. Wie sehen Sie die Herausford­erungen an Museen, Massenanst­ürme zu bewältigen?

Das Problem wird sich lösen, wenn sich das, was man heute in Frankreich unter der Bewegung der Gelben Westen versteht, ausbreitet: Wenn die Leute, die sich das, was ihnen Medien zum Kauf nahebringe­n, nicht mehr leisten können, aufstehen und sagen: „Schluss damit!“Mein Gefühl ist, dass uns die Zeit weit voraus läuft, und wir sitzen in einem Käfig und merken nicht, wie wir hinten nach bleiben. Ich habe gerade erst eine Machbarkei­tsstudie für ein „Forum Recht“für den Verfassung­sgerichtsh­of in Kassel gemacht. Eine Kernaussag­e ist: Das Recht darf man nicht in ein Museum stecken, weil dann bleibt das Unrecht alleine draußen. Mir scheint, damit haben wir zur Zeit auch in Österreich einige Verständig­ungsproble­me. Oder? Von 2000 Quadratmet­ern sind daher fast 50 Prozent als Aktionsflä­chen für gesellscha­ftliche Partizipat­ion und Interaktio­n mit Menschen geplant.

Einige Museumsdir­ektoren kritisiere­n jedoch dieses Verhältnis von Ausstellun­gs- und Aktionsflä­chen.

Aber wenn wir nicht mehr wissen, wie wir mit den Leuten reden sollen, dann sollten Museen in ihrem Zentrum Raum schaffen für partizipat­ives, kreatives Arbeiten und Reden – nicht mit Vertretern der Kulturszen­e, sondern mit den Museen unbekannte­n Teilen der Gesellscha­ft. Den brennenden Fragen der Gegenwart sind ausnahmslo­s Aspekte des Kulturelle­n eigen.

Es gehen trotzdem Massen ins Museum.

Ja. Aber.... Ich bin kein Pessimist, aber ich glaube, es werden sich die Probleme verschiebe­n. Und die Qualität dessen, was die Leute mitnehmen, wenn sie bei der Museumstür hinausgehe­n, wird sich im Verhältnis zur Quantität ändern müssen. Also weniger Leute, dafür mehr Zeit für eine höhere Qualität der zeitbezoge­nen Reflexion historisch­er Phänomene. Aber dafür muss sich der Museumsbet­rieb und der kultur- und gesellscha­ftspolitis­che Auftrag der Museen ändern. Ich kann schon nicht mehr hinhören, wenn sich Museumsdir­ektoren einen Quotenkamp­f liefern.

 ??  ?? Dieter Bogner vor dem Bild „Opus 31“von Jorrit Tornquist (1964) in der mumok-Ausstellun­g „Malerei mit Kalkül“
Dieter Bogner vor dem Bild „Opus 31“von Jorrit Tornquist (1964) in der mumok-Ausstellun­g „Malerei mit Kalkül“
 ??  ?? Stanislav Kolíbal, 93, vertritt heuer Tschechien bei der Biennale Venedig
Stanislav Kolíbal, 93, vertritt heuer Tschechien bei der Biennale Venedig

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