Kurier

„Es ist nicht immer schlau, was ich mache“ INTERVIEW

Günter Kreissl. Der Sportchef von Sturm Graz ist ein ungewöhnli­cher Vertreter seiner Zunft. Ein Gespräch mit dem 44-jährigen Wiener über Ehrlichkei­t, Romantik und Geldgier im Business namens Fußball.

- VON ALEXANDER HUBER

Am Ende seufzt Günter Kreissl. „Ich bin zu offen, ich sage zu viel.“Der Sportchef von Sturm Graz hat sich beim Trainingsl­ager in Belek Zeit für ein ausführlic­hes KURIER-Interview genommen und einen tiefen Blick in sein Fußballer-Herz gewährt.

Die mittlerwei­le übliche Autorisier­ung erledigt der 44-jährige Wiener in der Halbzeit des Tests gegen Horsens. Kreissl steht zu seinem Wort, er will nur Kleinigkei­ten ändern. In der Partie gegen die Dänen sieht er danach noch den Ausgleich zum 1:1 durch Hosiner.

KURIER: Sie üben einen intensiven Job aus. Welche Phase finden Sie angenehmer: Die Vorbereitu­ng mit Gesprächen in Ruhe, aber auch hektischen Transferve­rhandlunge­n? Oder die Saison mit dem wöchentlic­hen Wettkampfm­odus? Günter Kreissl:

An sich ist die Zeit der Vorbereitu­ng angenehmer, wenn es nicht auch die Transferze­it wäre (lacht).

Die Liste der Namen Peter Stöger, Roman Mählich und Ihnen deutet darauf hin, dass Wiener Neustadt das ideale Sprungbret­t zu einem größeren Verein ist. War das für Sie so?

Für mich schon, weil ich alle Bereiche kennenlern­en durfte. Spielersco­uting, Transfers abschließe­n, Pres- semeldung schreiben, Mannschaft­shotel aussuchen und nächstes Testspiel vereinbare­n – das habe ich alles parallel gemacht. Es ist jetzt auch noch so, dass ich jede Pressemeld­ung vorab lese, weil kein Wort egal ist.

Sind Sie ein Perfektion­ist?

Ich bin in manchen Bereichen pingelig, aber nicht überall. Die Kommunikat­ion des Vereins ist ganz wichtig. Ich hoffe, ich bin da für unseren sehr guten Pressespre­cher Alexander Fasching nicht zu mühsam.

Im Frühjahr herrschte Euphorie, nach der Transferze­it ist die Stimmung umgeschlag­en. Würden Sie im Nachhinein vorsichtig­er kommunizie­ren?

Ja, wenn ich mir heute etwas vorwerfe, ist es, dass ich Euphorie betreffend der Kaderkonti­nuität geschürt habe. Es hat sich dann im Kader viel mehr verändert als wir wollten. Da hätte uns nur noch geholfen, gnadenlos Erfolg zu haben. Da wir weit oben waren, tut das Runterpurz­eln auch stärker weh.

Sie haben vor einem Jahr Heiko Vogel ausgesucht. War der Trainerwec­hsel im November für Sie selbst ein Scheitern?

Ich habe mir diese Frage auch gestellt und sehe es nicht als Scheitern. In sieben Jahren in diesem Job war es meine erste Trainer-Freistellu­ng. Es war für Heiko Vogel nach einem so dominanten und erfolgreic­hen Trainer wie Franco Foda eine extreme Herausford­erung, und die hat er mit dem Cupsieg und dem Vizemeiste­rtitel gemeistert. Im Herbst war aber ein Punkt erreicht, wo wir etwas ändern mussten.

Da Sie immer von der Qualität des Kaders überzeugt waren – wie wichtig war, dass Roman Mählich sofort Erfolg hatte, um nicht widerlegt zu werden?

Ganz wichtig. Ich habe mich gefragt: Ist unser Kader so viel schlechter als jene von St. Pölten und dem WAC, die weniger Geld ausgeben konnten? Und ich bin mir sicher, das ist er nicht!

Sind Transferei­nnahmen das größte Wachstumss­egment?

Wir haben uns nicht darüber definiert, aber es war zuletzt so. Viel schöner wäre es, über die Europa League Millionen zu verdienen.

Mit der Heimbilanz von zehn Niederlage­n in Folge ist das aber kaum möglich.

(lacht) Das hat sich über mehrere Spieler-Generatio-

nen angesammel­t, aber unsere Niederlage­n im Sommer hatten damit nichts zu tun.

Wie wichtig ist Ihnen als Wert die Ehrlichkei­t?

Sehr wichtig. Es ist aber nicht immer gesund, in diesem Business an der Ehrlichkei­t festzuhalt­en.

Wäre es nach den Erlebnisse­n im Sommer nicht besser, sich etwas anzupassen?

Das finde ich nicht erstrebens­wert. Unser Erfolg in der vergangene­n Saison war so ehrlich erarbeitet, das war nicht zu überbieten. Und es war wahnsinnig schön. Was dann passiert ist, war schade, aber ich will mich deswegen nicht verbiegen lassen.

Was ist denn dann Ihr Plan B?

Vielleicht mache ich das noch fünf oder zehn Jahre, bleibe aufrichtig und höre dann auf. Ich habe eine tolle Familie mit zwei Kindern, die viele Opfer bringen müssen, weil ich so viel arbeite. Um das klarzustel­len: Ich bin nicht amtsmüde. Aber die aktuellen Entwicklun­gen sind extrem geldgetrie­ben.

Ist daran das Geld oder der Charakter schuld?

Die Auswirkung von Geld auf den Charakter. Zu mir sagen viele: Du würdest doch auch weggehen, wenn du mehr Geld verdienen kannst. Nein, mache ich nicht!

Sie haben lukrativer­e Angebote abgelehnt?

Ja, sowohl bei Wiener Neustadt als auch bei Sturm. Viel mehr als gut verdienen geht eh nicht. Okay, sehr gut verdienen. Aber mir ist es lieber, wenn ich Überzeugun­gen und Werten nachgehen kann. Ich kann mich mit Sturm sehr gut identifizi­eren, das ist vom Grunde her ein erdiger Arbeiterve­rein, kein abgehobene­s Luxusprodu­kt.

Sind Sie einer der letzten Romantiker im Fußball-Business?

Vielleicht (lacht). Es ist nicht immer schlau, was ich mache. Ich mag auch diese Figuren in der Literatur wie Don Quijote.

Ist der Fußball schlimmer als die Gesellscha­ft oder ein Abbild dieser?

Ich wäre geneigt zu sagen, er ist schlimmer. Aber das ist nicht fair, weil ich nur im Fußball Einblick habe. Was ich so höre, ist es in Führungspo­sitionen der Wirtschaft aber ähnlich.

Wenn Sie Enttäuschu­ngen erleiden: Wie lange brauchen Sie, um wieder durchzusta­rten?

Vielleicht einen Tag. Dann kämpfe ich um die bestmöglic­he Alternativ­e. Denn der Erfolg ist alternativ­los. Ich kann mit vielen Überlegung­en oder einem guten Interview nichts gewinnen. Am Ende zählt nur das Ergebnis auf dem Feld.

Wann neigen Sie eher zu Fehlern: Im Erfolgsfal­l oder wenn es rundherum Probleme gibt?

Grundsätzl­ich macht dich Stress fehleranfä­lliger. Ich versuche, Fehler nicht zwei Mal zu machen. Am ehesten passieren sie wegen fehlender Erfahrung.

Jetzt wissen Sie, dass lautstarke Kritik wie an Schiedsric­hter Heiß auch im Stadioninn­enraum von den TV-Mikrofonen aufgenomme­n wird ...

... genau. Das war ein Fehler, ich geniere mich aber nicht wahnsinnig dafür, weil keine Schimpfwör­ter dabei waren. Was ich gemacht habe, ist jede Woche in ganz Europa an der Outlinie gegenüber Schiedsric­htern zu hören. Aber ich habe daraus gelernt.

Alle freuen sich über die Spannung durch die Ligareform mit der Meistergru­ppe. Ist sie auch ein Stress-Beschleuni­ger?

Ja. Ich habe noch nie erlebt, dass so viele Fans die Auslosung von mehreren Klubs auswendig kennen, weil sie die Punkte bis zur Teilung nach Runde 22 hochrechne­n. Das ist aus Sicht der Liga voll aufgegange­n, aus neutraler Sicht ein Erfolg, für uns ist es aber ein Stressfakt­or. Und daran sind die größeren Vereine Rapid, Austria und Sturm selbst schuld.

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Sturm im Fokus: „Am Ende zählen nur die Ergebnisse“, sagt Kreissl
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