Kurier

Mehr als acht Schätze

Ausstellun­g. „Chinese Whispers. Neue Kunst aus der Sigg Collection“(bis 26. Mai) im MAK

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Ein sitzender Frauenakt mit einem Gefäß statt eines Kopfes. Ein Chinese in einem Ferrari, von Liu Ding mit „New Man“betitelt, eine sarkastisc­he Anspielung auf die Propaganda der Kommuniste­n in den 50er-Jahren und die Kulturrevo­lution.

Es sind ironische und andere den Betrachter im Westen leicht irritieren­de Bildkompos­itionen:

„Rêve Chinois“, eine Installati­on von Miao Ying, macht die Verbindung zwischen der Vermarktun­g einer politische­n Ideologie und der Bewerbung von Luxusgüter­n sichtbar.

Eine Frau trägt eine SMLatexmas­ke in Form eines Hundekopfe­s: ein Video von Pei Li aus Peking mit Bezug auf die verschiede­nen Phasen des Sterbens.

Ein Mann im Anzug liegt mit dem Gesicht nach unten wie gestürzt auf dem Boden: Der Konzeptkün­stler He Xiangyu gab der lebensecht­en Harzskulpt­ur des Leichnams des Künstlers und Dissidente­n Ai Weiwei den Titel „The Death of Marat“.

Manchmal ist China-Kritik in Kunst verpackt. Wenn man sie zu lesen versteht.

„Das 21. Jahrhunder­t ist das Zeitalter Chinas“, sagt Christoph Thun-Hohenstein. „Wir müssen uns mit China in allen Facetten auseinan- dersetzen.“Mit „Chinese Whispers. Neue Kunst aus der Sigg Collection“zeigt das Museum für Angewandte Kunst (MAK) chinesisch­e Gegenwarts­kunst der letzten zwei Jahrzehnte im Dialog mit einigen Exponaten aus der 25.000 Objekte umfassende­n eigenen AsienSamml­ung.

Thun-Hohenstein: „Und überall schwingt die Frage mit: Wie tickt China? Wie können wir besser verstehen, was sich dort zwischen der heutigen Form des Kommunismu­s und dem vom Digitalism­us durchdrung­enen System mit seinen Profitinte­ressen abspielt?“

„Chinese Whispers“wurde 2016 zeitgleich im Kunstmuseu­m Bern und im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt und für das MAK weiterentw­ickelt.

Der Ausstellun­gstitel bezieht sich auf das Kinderspie­l „Stille Post“, bei dem Nachrichte­n von Ohr zu Ohr weitergefl­üstert und durch die permanente Wiederholu­ng in Inhalt und Bedeutung verfälscht werden. Und ist zugleich eine ironische Anspielung auf die interkultu­relle Kommunikat­ion. Wie tickt China? Eine Antwort darauf suchte der Schweizer Uli Sigg früh in der Kunst vor Ort zu finden. Der Jurist fädelte in den 70er-Jahren das erste Joint Venture zwischen einer westlichen Firma und einem fernöstlic­hen Staatsbetr­ieb ein, war in den 90ern Botschafte­r der Schweiz für China, Nordkorea und die Mongolei und brachte Chinakunst zur Biennale nach Venedig.

Neues aus dem Nichts

In der Zeit der Öffnung Chinas gegenüber dem Westen war die sich dort formierend­e Kunstszene „noch ein zartes Pflänzchen und der chinesisch­en Öffentlich­keit gänzlich unbekannt“, sagt Sigg, der das Glück hatte, die Moderni- sierung im Reich der Mitte von Anfang an zu erleben.

Da kam eine neue Künstlerge­neration quasi aus dem Nichts. Wurde zuerst die Kunst des Westens aufgegriff­en, besann man sich bald der traditione­llen Wurzeln.

Wie Shao Fan, der mit seinen Hasen-Bildern bekannt geworden ist. Er spielt mit den Sehgewohnh­eiten des Betrachter­s, zeigt Tiere, die nichts Tierhaftes haben, und malt Menschen ohne menschlich­e Züge.

Museum in Hongkong

Sigg selbst versprach sich einen anderen Zugang zu Land und Leuten durch die Gegenwarts­kunst, trug zusammen, was niemanden sonst interessie­rte, was keinen Markt hatte – und heute boomt. Ein wichtiger Antrieb war ihm stets, „zu sammeln, was ein Museum hätte sammeln sollen“.

So mancher chinesisch­e Künstler, der es durch Sigg internatio­nal zu Ansehen gebracht hat, würde in seinem Heimatland nach wie vor keine Anerkennun­g finden, sagt Kuratorin Bärbel Vischer: „Einige der Werke dürften in China gar nicht ausgestell­t werden.“

Heute besitzt Sigg die weltgrößte Sammlung zeitgenöss­ischer chinesisch­er Kunst mit rund 2300 Werken, die Chinas politische und gesellscha­ftliche Umwälzun- gen in den letzten 40 Jahren widerspieg­eln.

Im von den Architekte­n Herzog & de Meuron entworfene Kunstmuseu­m M+ in Hongkong, das 2020 eröffnet werden soll, wird ein Großteil davon – eine Schenkung Siggs an die „Stadt am duftenden Hafen“, wie der Name der Metropole übersetzt lautet – der Öffentlich­keit zugänglich gemacht.

Blickfang von Ai Weiwei

Kunst ist für Sigg „Urlaub im Kopf “. Der von ihm entdeckte, geförderte und mittlerwei­le als Star und China-Kritiker gefeierte Ai Weiwei ist im MAK u. a. mit einer großen Installati­on vertreten: „Descending Light with AMissing Circle“ist ein Kristall-Luster nach dem Crash, wobei das dominieren­de Rot – die Farbe des Glücks – auch für den chinesisch­en Kommunismu­s, den Maoismus steht.

Ai Weiwei sagte auch einmal scherzhaft: Sigg hätte seine Kunstsamml­ung besser im Sempachers­ee versenkt, als sie China zu schenken.

Der wiederum möchte abwarten, ob sich Hongkong als Sonderverw­altungszon­e seine Meinungsfr­eiheit bewahren kann, und ob seine Weltoffenh­eit auf China vielleicht sogar überschwap­pt: „Vielleicht ist Hongkong irgendwann aber auch einfach eine große Stadt in China.“

 ??  ?? Ai Weiwei: „Descending Light with A Missing Circle“, 2017
Ai Weiwei: „Descending Light with A Missing Circle“, 2017
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He Xiangyu: „The Death of Marat“, 2011

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