Aufwühlend und voller Glücksgefühle: Andris Nelsons und „seine“Leipziger
Kritik. Wie man das Wesen eines Orchesters zum Klingen bringt, hat Andris Nelsons beim ersten der zwei Gastspielkonzerte mit dem Gewandhausorchester Leipzig im Wiener Musikverein hörbar gemacht.
Seinen berühmtesten Vorgänger auf dem Posten des Gewandhauskapellmeisters, Felix Mendelssohn-Bartholdy, würdigte der lettische Dirigent in seiner zweiten Leipziger Saison mit einer dramaturgischen Interpretation von dessen „Meeresstille und glückliche Fahrt“(op. 27). Seine Lesart hielt sich an den Text von Goethes Gedichten, die der „Ouvertüre“zugrunde lagen.
Die „Todesstille“auf dem Meer, der Albtraum eines jeden Schiffers, der in absoluter Flaute steckt, wurde in atemberaubendem Pianissimo hörbar. Umso mehr wie eine Erlösung mutete das Flötensolo (exzellent: Sébastian Jacot) an.
Einfühlsam schaffte Nelsons Raum für seine Solistin Hélène Grimaud bei Robert Schumanns „Klavierkonzert in a-Moll“(op. 54).
Mit ihren harten Anschlägen, rasanten, virtuosen Soli stellte sie sich mit individueller Sicht auf das Werk in Kontrast zum Orchester. Phänomenal, wie da vom Pult aus der Bogen über das große Ganze gespannt blieb. Auf- wühlend geriet Robert Schumanns dritte Symphonie in Es-Dur (op. 97). Nelsons, seit 2014 auch Chef des Boston Symphony Orchestra, nützte bei der „Rheinischen“den erdig-samtenen Klang der Streicher für einen intensiven Spannungsauf bau.
Ausgelassenheit ging hier ganz organisch in Schwermut über. Dass die fulminanten Bläser minimal entgleisten, war dem Esprit, mit dem musiziert wurde, geschuldet. Da lagen Melancholie und Euphorie ganz nah beieinander. Die Spannung auf das Neujahrskonzert mit Andris Nelsons steigt. Stürmischer Applaus.